Ein Problembezirk in Berlin. Ein einsamer, alter Mann steht in seinem Antiquariat und schaut durch die vergitterten Fenster nach draußen. Was ist geworden aus diesem Stadtteil, aus den Menschen, aus der Jugend? Jahrelang hat dieser Mann weggesehen, hat sein Leben im Verborgenen geführt. Jetzt ist er herausgetreten aus der Anonymität der Kleingeister, der Feiglinge, der Sprücheklopfer. Er ist dazwischengegangen, als ein 16-jähriger Kroate einen Nachbarn fast zu Tode prügelte, und er hat ihn bei der Polizei angezeigt. Bisher ist ihm nur ein Finger gebrochen worden, jetzt muss der Mann mit dem Schlimmsten rechnen. Die Straßengang holt zum Gegenschlag aus. Und die Polizei ist machtlos. Der WDR-Fernsehfilm "Zivilcourage" ist Fiktion. Und doch erinnert die Ausgangssituation - ein Jugendlicher schlägt wegen einer Beleidigung besinnungslos auf einen Menschen ein - an das Schicksal Dominik Brunners, der im September 2009 in der Münchner S-Bahn bedrohte Kinder schützen wollte und von zwei Jugendlichen zu Tode geprügelt wurde. Auch der herausragende Film mit Götz George stellt ähnliche Fragen, wie sie sich viele Menschen nach dem Tod Brunners gestellt haben. Ist Zivilcourage noch ein Wert, den das soziale Leben unbedingt benötigt, oder läuft er in einem maroden System zwangsläufig ins Leere? Lohnt es sich für den aufrechten Gang, sich selbst und seine Liebsten in Gefahr zu bringen?

"Zivilcourage" ist ein Beitrag zur gesellschaftspolitischen, kulturellen und moralischen Lage der Nation. Hauptdarsteller Götz George steht ganz hinter der Haltung seiner Figur. "Ich habe den subjektiven Eindruck, als ob man vor fünf Jahren noch nicht einmal wusste, wie Zivilcourage geschrieben wird." Die öffentliche Gewalt sieht er tief verankert in unserer Gesellschaft. "Intrigen, Denunziation, Mobbing können genauso viel Schaden verursachen wie körperliche Gewalt", betont er. "Wichtig ist die Einsicht und dann auch der Mut, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen."

Das besonders Bemerkenswerte an dem Film von Dror Zahavi ("Marcel Reich-Ranicki - Mein Leben") ist der Verzicht auf wohlfeile Schwarz-Weiß-Malerei. Auch die Täter bekommen in der Ausweglosigkeit ihrer Existenz klare Züge, ohne dass deren menschenverachtendes Handeln entschuldigt würde. Nicht immer politisch korrekt entwickelt der Film Konfliktsituationen, die vorstellbar sind - aber der Zuschauer muss sie selbst zu Ende denken. "Ich kann und will mich nicht in die Reihe derer stellen, die immer ganz genau wissen, was richtig und was falsch ist", betont Drehbuchautor Jürgen Werner.

"Zivilcourage" steht in der Reihe der gesellschaftskritischen, allesamt Grimme-Preis-gekrönten WDR-Fernsehfilme der letzten Jahre wie "Wut", "Guten Morgen, Herr Grothe" oder "Ihr könnt euch niemals sicher sein". Es ist ein TV-Drama, das sein Thema ernst nimmt, dabei aber nie vergisst, auch Film und damit Unterhaltung zu sein.