Hamburg. Das richtige Mischverhältnis von Herz und Hirn, von Gefühl und Verstand gehört zu den großen Geheimnissen der Interpretation und der Kunst überhaupt. Diese Balance perfekt zu erfassen wird wohl nie ganz gelingen - aber es gibt einige sehr besondere Musiker, die ihr erstaunlich nahekommen. So wie Murray Perahia: Er hat die Pole bei seinem umjubelten Laeiszhallen-Soloabend einmal mehr vor allem bei Johann Sebastian Bach aufs Glücklichste verbunden.

In seiner Darbietung der e-Moll-Partita vereinte der Pianist glasklare Transparenz und berückend warme Klangschönheit. Er modellierte die komplex geschichteten Stimmverläufe plastisch aus, indem er sie als organische Bögen luftholen, aufblühen und wieder sanft ausatmen ließ - und erweckte dabei die musikalischen Charaktere der einzelnen (Tanz-)Sätze zum Leben: den synkopischen Drive der Courante oder die verspielte Eleganz der Allemande, deren zarte Wiederholungen er mitunter wie ein leise versonnenes Lächeln aus den elfenbeinweißen Zähnen der Tastatur zauberte. So war der Anfang zugleich schon der Höhepunkt - auch wenn der stets herbstlich dreinschauende Antistar, der beim Applaus immer ein bisschen verloren wirkt, danach keinesfalls abbaute.

Seine Sicht auf Beethovens E-Dur-Sonate op. 109 war bis in die feinsten artikulatorischen Details und ihre weit aufgespreizten Klänge hinein tiefenscharf ausgeleuchtet. Stark auch die zweite Hälfte, die sich dem Jubilar Chopin widmete, und dabei mit einer Auswahl von Etüden und Mazurken bis zum Scherzo ganz unterschiedliche Facetten offenbarte: Perahias Spiel ergründete den grüblerischen Ernst der Musik, schwelgte geschmackvoll in romantischer Emphase und gestattete sich auch kurze, geradezu rauschhafte Virtuosität. Letzteres beherrschen einige (wenige) ähnlich souverän und vielleicht noch ungezügelter - aber bei Bach ist Perahias Kunst, zumindest auf dem Flügel, nur schwer zu erreichen.