Berlin. Ohne einen Zufallsfund im Jahr 1984 hätte es die am Sonntag beginnende Ausstellung "George Grosz. Korrekt und anarchisch" in der Berliner Akademie der Künste wohl nie gegeben. Im Keller des einstigen Wohnhauses der Schwiegereltern von Grosz tauchte damals eine Kiste längst vergessenen Inhalts auf. Von der Feuchtigkeit des Kellergewölbes gewellt, stapelten sich in ihr mehr als 1200 Briefe und zahlreiche Jugendzeichnungen des in Berlin geborenen Künstlers.

Mehr als ein Vierteljahrhundert später zeigt die Akademie der Künste nun erstmals die bis heute weitgehend unbekannten Werke. Neben der umfangreichen Sammlung von Jugendzeichnungen sind fast alle im Archiv der Akademie lagernden 207 Skizzenbücher sowie eine komplette Reihe von Porträtstudien zum Literaten Max Hermann-Neisse zu sehen.

Auf 500 Quadratmetern dokumentieren Zeichnungen, Collagen, Fotografien und Sammelwerke das vielseitige Schaffen des politischen Künstlers. Der Präsident der Akademie, Klaus Staeck, versteht die Schau gleichwohl nicht nur als Rückblick auf das groszsche Werk. Sie sei "als Zeitkommentar bestens geeignet, wenn man bereit ist, genau hinzuschauen". Zwar habe sich das Erscheinungsbild von Unternehmern grundlegend gewandelt. "Aber der Kapitalismus ist derselbe geblieben", sagte Staeck.

Die in gläsernen Schaukästen aneinandergereihten Skizzenbücher aus den Jahren 1905 bis 1958 bilden den Kern der Ausstellung. Bunte Schulhefte mischen sich unter dicke Notizblöcke. Ein kurzer Blick auf den Einband genügt: Grosz hat seine Skizzenbücher akribisch mit Jahreszahl und Ort versehen. Unter den zahllosen Entwürfen finden sich erste Skizzen bekannter Zeichnungen. Dabei fällt eines auf: Kaum eine Seite ist ohne Randnotiz geblieben.

Die 150 bislang weitgehend unbekannten Zeichnungen aus Grosz' Jugend zeigen, wie früh der sozialkritische Künstler seine Umgebung ins Visier nahm: Er zeichnet Dandys, Bildungsbürger und "den dummen deutschen Michel" - Typen, die er immer wieder an anderer Stelle aufgreift. Die frühen Werke lassen das Potenzial des Künstlers, der wie kaum ein anderer das Bild der Weimarer Republik geprägt hat, erkennen.

Ein eigener Raum ist der erstmals ausgestellten kompletten Reihe von 23 Porträtstudien zum Literaten Max Hermann-Neisse gewidmet, die wie die Jugendzeichnungen erst 1984 gefunden wurden. Die beiden Künstler verband eine lange Freundschaft, über die der Literat 1929 sagte: "Wir waren beide sowohl Lyriker als Zyniker, korrekt und anarchisch." Für die Kuratorin der Ausstellung, Birgit Möckel, ist dieses Zitat sinnbildlich für das groszsche Werk. Grosz sei stets als korrekter Bürger aufgetreten, "korrekt gekleidet und gescheitelt", habe sehr präzise gearbeitet. Auch bekannte Werke wie die provokante Kreidezeichnung "Christus mit Gasmaske", mit dem sich Grosz einen Prozess wegen "Gotteslästerung" einhandelte, sind in der Ausstellung zu sehen. Viel Raum ist auch der späten Schaffensphase Grosz' gewidmet, der 1933 nur wenige Tage vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten nach Amerika emigrierte und 1938 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft annahm.

Bis zum 5. April ist die Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste dienstags bis sonntags von 11 bis 20 Uhr geöffnet. Im Herbst wird sie im niederländischen Zwolle gezeigt, bevor die Werke vermutlich für sehr lange Zeit zurück ins Archiv wandern werden. Archivdirektor Wolfgang Trautwein zufolge sind die Objekte "so fragil, dass man sie ein drittes Mal nicht zeigen kann".