Ein zärtlicher Blick auf die jüdische Gemeinschaft: Der Film erzählt von einem Leben, das aus dem Ruder läuft, und trägt autobiografische Züge.

Hamburg. Bei den internationalen Filmfestivals räumen sie regelmäßig Preise ab, für ihre Romanverfilmung von "No Country For Old Men" durften sie 2007 vier Oscars mit nach Hause nehmen, viele ihrer Filme sind Kult. Joel und Ethan Coen gehören seit ihrem Debüt 1984 mit "Blood Simple" zu den innovativsten Geschichtenerzählern des amerikanischen Kinos. So unterschiedlich ihre Themen und so vielfältig die benutzten Genres sind, es gibt eine Konstante in ihren Filmen: Die Figuren laufen immer neben der Spur.

Im Amerikanischen bezeichnet man solche Menschen als "socially awkward", ein Begriff, der nicht 1:1 ins Deutsche zu übersetzen ist. Sie sind oft naiv, dabei von großer Intelligenz, sie reagieren hilflos auf ihre Umwelt und deren Anforderungen, sie sind wehrlose Verlierer in einer Wirklichkeit, die sich von ihnen verschoben hat. Aktuelles Beispiel für so eine Figur ist Larry Gopnik, gespielt von Michael Stuhlbarg. Er ist "A Serious Man", so der Titel des aktuellen Coen-Brüder-Films, der morgen in den deutschen Kinos anläuft.

Gopnik ist ein Physikprofessor, der mit Frau und zwei Kindern in einer dieser schachbrettartig angelegten, uniformen Vorortssiedlungen irgendwo im Mittleren Westen lebt. Dieser "ernsthafte Mann" ist zufrieden mit seinem Leben, doch plötzlich läuft es aus dem Ruder. Seine Frau konfrontiert ihn damit, dass es einen anderen Mann in ihrem Leben gibt, ein koreanischer Student versucht ihn zu erpressen, bei der Universitätsleitung gehen Briefe ein, die ihn denunzieren, um seine Beförderung zu verhindern. Für weiteren Ärger sorgt Gopniks Bruder Arthur, ein Mathegenie mit einem Hang zu illegalem Glücksspiel und ebenfalls total "socially awkward". "Warum ich?", fragt Gopnik sich. Doch er ist unfähig, sich zu wehren. Er zieht in ein Hotelzimmer, er wird von Albträumen geplagt, er sucht Hilfe bei seinem Anwalt und bei drei verschiedenen Rabbis, doch niemand scheint ihn zu verstehen. Gopniks Wirklichkeit und die seiner Gesprächspartner sind nicht kongruent.

Der Witz vieler Szenen ergibt sich daraus, dass die Figuren aneinander vorbeireden. Als Gopnik dem ersten Rabbi erzählt, dass seine Frau sich von ihm trennen will, faselt der etwas vom "göttlichen Wunder des Parkplatzes", statt ihm religiösen Rat und Beistand zu geben. Der nächste Rabbi erzählt Gopnik eine abstruse Geschichte von einem Zahnarzt, der bei einem Patienten Zähne mit hebräischen Zeichen gefunden habe. Diese Szenen sind absurd und komisch, doch Gopnik wird in seiner Suche nach einem Ausweg nicht der Lächerlichkeit preisgegeben. Man empfindet Mitleid mit ihm.

"A Serious Man" trägt autobiografische Züge, denn Joel und Ethan Coen sind 1954 bzw. 1957 in Minneapolis, Minnesota geboren und in einem jüdischen Vorort aufgewachsen. Gopniks Sohn Danny (Aaron Wolff) könnte ein Alter Ego von Joel Coen sein, der 1967 13 Jahre alt war. Wie Danny mussten auch die Brüder eine hebräische Schule besuchen, und genau wie Danny interessierten sie sich begeistert für die Popmusik der damaligen Zeit. Jefferson Airplanes Hit "Somebody To Love" spielt eine Schlüsselrolle in "A Serious Man".

Doch die Brüder haben in Interviews immer wieder deutlich gemacht, dass sie mit "A Serious Man" vor allem die Atmosphäre dieser jüdischen Gemeinschaft transportieren wollten. "Wir glauben, dass 'A Serious Man' ein sehr liebevoller Blick auf die Gemeinde ist und ein Film, der Aspekte jüdischen Lebens zeigt, die man normalerweise nicht zu sehen bekommt", sagen Joel, der Regisseur, und Ethan, der Produzent.

Aussagen der beiden Kino-Künstler, die ihre Drehbücher gemeinsam schreiben, sind durchaus mit Vorsicht zu genießen. Ihr Thriller "Fargo" zum Beispiel beginnt mit einer Schrifttafel, auf der steht, dass es sich bei der Story um eine wahre Begebenheit handele. Was indes nicht der Wahrheit entspricht. "Unsere Filme haben weniger mit der Realität zu tun als mit dem, was die Leute dafür halten", sagen sie.

Ihre Figuren leben oft in eigenen Parallelwelten. Wie Jerry Lundegaard, der unterwürfige Autohändler aus "Fargo", der seine Frau entführen lässt. Dass er ein Verbrechen begeht, obwohl die Entführung nur fingiert ist, wird Lundegaard nie bewusst. Auch Dude Lebowski und sein Freund Walter in "The Big Lebowski" sind nicht wirklich von dieser Welt. Walter schleppt ein Vietnam-Trauma und eine geladene Waffe mit sich herum; Lebowski lebt in einer durch Marihuana benebelten Post-Hippie-Welt. Ein anderes Beispiel für diese liebenswerten Sonderlinge in der Coen-Welt ist Barton Fink, ein Dramatiker, der in Hollywood Drehbücher schreiben soll. Fink stiert in einem düsteren Hotelzimmer auf seine Schreibmaschine und bekommt nur einen Satz zustande. Die Glamourwelt Hollywoods führt zu einer Schreibblockade und Albträumen.

All diese Helden haben keine richtige Bodenhaftung. Sie leben in einer grotesken Welt, sie sind geborene Verlierer, sie haben Schwierigkeiten, sich verständlich zu machen, und oft verstehen sie die sie umgebende Welt einfach nicht. Aber auch die anderen Figuren, mit denen sie in Kontakt kommen, haben ähnliche Defizite. Es gibt Filme der Coen-Brüder, in denen es keine einzige "normale" Person gibt. Aus solchen Szenarien lassen sich vortreffliche Komödien bauen.

Larry Gopnik, der "serious man", steht zu Beginn des Films noch mit beiden Beinen auf der Erde - oder glaubt es zumindest -, bis sein Leben völlig aus dem Ruder läuft. "Das Witzige für uns an der Geschichte war, immer neue Wege zu finden, wie wir Larry quälen konnten", sagt Ethan Coen. Erlösung gibt es für diesen modernen Hiob nicht.

Sein Leidensweg endet erst, als sein Arzt ihn anruft. Der sagt nur einen Satz: "Es ist dringend."

"A Serious Man": ist von Donnerstag an im Abaton, Holi und im Zeise-Kino zu sehen. Eine Kritik lesen Sie morgen in LIVE.