Gerüchte dienen der sozialen Kontrolle und fördern das Gemeinschaftsgefühl. Armgard Seegers über Klatsch als globale Obsession.

Hamburg. Für Liebhaber der Klatschpresse gab's in den vergangenen Wochen reichlich anregenden Lesestoff: Täglich neue Geliebte von Golf-Profi Tiger Woods (chapeau!), Prinz Ernst August beim Fremdcremen (au wei), dessen Ehefrau, Prinzessin Caroline, als Zeugin vor dem Landgericht in Hildesheim (warum macht die das?), Loddar Matthäus, der von seiner vierten Ehefrau links liegen gelassen wird (typisch), und die Ehefrau des nordirischen Ministerpräsidenten, Iris Robinson, mit einem 40 Jahre jüngeren Geliebten (alle Achtung!). Anregend auch, weil jedes Gerücht schöne Blüten treibt. Woods heißt nun "Schniedel-Wutz", Matthäus nächster Ehe wird eine Dauer von zweieinhalb Wochen prophezeit, und Mrs Robinsons Seitensprung soll angeblich Simon und Garfunkels 40 Jahre alten Song gleichnamigen Titels wieder auf die Hitlisten befördern. Wenn das nicht pure Unterhaltung ist!

"Ob's bei andere Leut' auch so zugeht wie bei uns?", wird der geniale deutsche Komiker Karl Valentin in seinem Sketch "Der Theaterbesuch" von seiner Partnerin Liesl Karlstadt gefragt, nachdem bei ihnen das totale Chaos ausgebrochen ist. Und er antwortet: "Genau so!"

Eines der Geheimnisse, warum uns Klatsch so interessiert, ist die Frage, ob andere Leute ähnliche Probleme, Sorgen und Schwierigkeiten haben wie wir selbst. Ob nur wir uns bemühen, moralisch unfallfrei und unbeobachtet durchs Leben zu kommen, oder ob andere gelegentlich auch gegen Mutmaßungen und Unterstellungen kämpfen. Selbst wenn es sich bei uns um Vergehen im Privatbereich handeln sollte. Wie viel schwerer wiegt öffentlich Aufgedecktes?

Klatschgeschichten bilden eine wirksame Form sozialer Kontrolle, die Normen und Werte einer Gemeinschaft sichert. Klatsch schweißt die Gruppenmitglieder zusammen und stärkt die Gemeinschaftsidentität. Er ist wichtig für die Karriere: Was Arbeitnehmer über ihren Job wissen, erfahren sie zu 70 Prozent über den Flurfunk. Wer dabei mit wem klatscht, zeigt besser als jedes Organigramm, wer was zu sagen hat. Klatsch, das ist ein Korrektiv, das ist Entrüstung, Entgleisung, intime Indiskretion, Missbilligung, Mitleid. Klatsch funktioniert nach dem Prinzip Verdacht, Vermutung, Verurteilung, also mit allen Elementen der Gerichtsbarkeit. Jedem Gerücht haftet etwas Wahres an, weiß der Volksmund, auch wenn das Gerücht sich weit von den Tatsachen entfernt. Klatsch soll die Menschen, die mehr haben oder sind als Durchschnittsbürger, aufs Normalmaß reduzieren. Klatsch interessiert uns fast alle. Warum eigentlich?

"Klatsch ist das, was jeder öffentlich verabscheut und insgeheim genießt", wusste der Schriftsteller Joseph Conrad. Klatsch verbreitet moralisch kontaminiertes Wissen in harmloser Verpackung. Klatsch ist wichtig, um sich im sozialen Umfeld zurechtzufinden und andere richtig einzuschätzen. "Wir zapfen die Lebenserfahrungen anderer an, um das eigene Leben zu meistern", sagt der Soziologe Christian Schuldt, dessen Kulturgeschichte "Klatsch" 2009 erschien. Und Patricia Riekel, Chefredakteurin der Zeitschrift "Bunte", erklärt: "Wir berichten über die Auf- und Abstiegsprozesse bekannter Menschen und schaffen Aufmerksamkeit für Prominente. Dazu kommt: Unsere Leser, vor allem Frauen, interessieren sich für einen bestimmten Personenkreis, das sind fast Verwandte für sie, ein erweiterter Freundeskreis."

"Wir leben in einem Zeitalter, das nach zerstörerischen Enthüllungen giert", schrieb die "New York Times" 1984 über den Klassiker der Enthüllungsbücher, Kenneth Angers "Hollywood Babylon". Klatsch als Lektüre hat eine lange Tradition. In Chaucers "Canterbury Tales" (1387), in denen Ehefrauen freimütig über die Leistungen ihrer Ehemänner herziehen, in Samuel Pepys' "Geheimen Tagebüchern" (1660-1669), in den Tagebüchern der Brüder Goncourt (1851-1870) spielen Indiskretionen eine ebenso große Rolle wie in der von Daniel Defoe ("Robinson Crusoe") herausgegebenen Zeitschrift "The Review" (1704-1713). Inzwischen braucht man keine Bücher mehr, um Gerüchte zu streuen. Minutenschnell wird um die Welt getwittert, geposted und gemailt. Webseiten, die klatschmagazin.com, promipranger.joinr.de oder klatsch-tratsch.de heißen, machen unbegrenzte Klatschbereitschaft zum Normalfall. Wer Monica Lewinskys orale Auftritte im Oval Office nicht kennt, wem die Besenkammer von Boris Becker, der Reitlehrer von Lady Di oder Carla Brunis Liste illustrer Liebhaber kein Begriff sind, wer nie davon gehört hat, dass der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer in Berlin einen Abstecher machte und ein Kind mit einer Frau gezeugt hat, die nicht seine Ehefrau war, der hat sich partiell ausgeklinkt aus dem globalen Informationsangebot und der leichten Unterhaltung.

Die Boulevardisierung der Medien ist weit vorangeschritten. Zeitschriften, die über Stars berichten, haben in den vergangenen Jahren geringere Verkaufseinbußen erlebt als ausschließlich seriöse Medien. Und die bewegen sich immer weiter in Richtung Oberfläche. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer weit ausgeschnittenen Robe in Oslo auftritt, hat nicht nur die Klatschpresse ein Thema. "Das ist ein schönes Beispiel für die Boulevardisierung der Gesellschaft", sagt "Bunte"-Chefredakteurin Patricia Riekel. "Merkel hat schon mit ihrem Überraschungs-Dekolleté enorm gepunktet. Es ist doch nicht verwunderlich, dass die Menschen am privaten Bild der Bundeskanzlerin interessiert sind - die Politik selbst ist mit ihren vielen komplizierten Details für viele zu unübersichtlich geworden."

Geklatscht wird, seit es Menschen gibt, von den alten Ägyptern, die hieroglyphische Klatschinschriften hinterließen, dem griechischen Feldherrn Alkibiades (450-404 v. Chr.), der seinem Lieblingshund den Schwanz abhackte, "damit die Athener über meinen Hund klatschen und nicht über mich", über die mittelalterlichen Waschplätze, an denen die Frauen öffentlich die Wäsche auf die Steine klatschten und in den Wäscheflecken wie in einem Buch lasen (deswegen sind so viele Klatsch-Redewendungen mit Wäsche verbunden, wie "Gewäsch", und "schmutzige Wäsche"), bis zu den großen Klatscherzählungen der Moderne, die im Hollywood der 30er- und 40er-Jahre ihre Blütezeit fand, als es galt, "geheime" Geschichten über Stars preiszugeben und hinzuzuerfinden.

Und geben wir's zu, wer würde nicht mal gern im Mittelpunkt stehen, um zu verbreiten, was er weiß? Schließlich erhöht das sein soziales Ansehen. Dass der bekennende Vegetarier Paul McCartney Heißhungerattacken auf Fleisch hat, dass Paris Hilton ganz klein ist, dass Charlie Chaplin ein Geizkragen war, Gary Cooper ein begehrter Liebhaber und Greta Garbo dumm wie Brot und - Achtung, Mädels, aufgepasst - George Clooney in Italien fest gebunden ist, an einen Mann, hat als Information vielleicht nur eine kurze Halbwertszeit, doch der Informant gilt als gut unterrichtet und fördert seinen Ruf.

Klatsch ist ein Filter zur Unterscheidung akzeptabler und inakzeptabler Verhaltensmuster, dem der Schweizer Kommunikationswissenschaftler Kurt Imhof wichtige soziale Funktionen zuschreibt.

Promi-Klatsch ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Die Medien bekommen Auflage. Die Prominenten Aufträge. Viele Schauspielerinnen gehen nur auf Partys, um dort fotografiert zu werden und damit zu signalisieren, sie seien gut im Geschäft. Wer für Partys Kleider und Schmuck gestellt bekommt, kann beim nächsten Dreh eine höhere Gage einfordern.

Prominente sind öffentliche Platzhalter, wir diskutieren nicht über sie als Menschen, sondern als Menschentypen, sagt der Medienwissenschaftler Steffen Burkhardt. Promis sind säkularisierte Gottheiten, die schnell zu gefallenen Göttern werden können: ob Michel Friedman als koksverschnupfter Lebemann oder Gräfin Pilati als Venus in Scharpings Pool. Die Öffentlichkeit ist besonders empört, wenn sich hinter dem Image, das eine Persönlichkeit von sich aufgebaut hat, Geschichten auftun, die nicht zu diesem Image passen. Iris Robinson, die sich gern als Sittenwächterin aufgespielt hat, folgt mit ihrer Neigung zu jungen Männern eben nicht einer Mode, wie sie Madonna (ihr Lover ist 30 Jahre jünger), Susan Sarandon (31 Jahre Altersunterschied) oder Simone Thomalla (19 Jahre) vorleben, sondern outet sich als bigott und scheinheilig. Dass nun ihr Ehemann, mit dem sie seit 30 Jahren verheiratet ist, öffentlich zusammenbricht und weint, macht die Geschichte noch bizarrer. Glaubt er wirklich, so fragt sich wohl der Durchschnittsleser, dessen Ehe durchschnittlich sieben Jahre hält, dass Ehefrauen 30 Jahre lang treu sein können?

Promi-Klatsch eignet sich auch für Wunsch-Projektionen. Man identifiziert sich mit dem Helden. Welcher Mann beneidet nicht Tiger Woods ein wenig? Um die vielen Frauen. Und welche Frau denkt nicht beim Blick auf Iris Robinson: Was die kann, kann ich auch. Gut so. So entsteht Stoff für weitere Geschichten. Die landen zwar nicht in "Gala" oder "Bunte", lassen dafür aber den Flurfunk knistern.