Hamburg. Der Krieg trägt den Krieg in die Familie. Boris von Poser zeigt Eugene O'Neills "Trauer muss Elektra tragen" als kühlen "Totentanz" auf der rotierenden Drehbühne des Ernst-Deutsch-Theaters. Als einen verhängnisvoll sich über Jahrhunderte hin wiederholenden Kreislauf - angetrieben von Hass und Rache.

Inspiriert durch "Die Orestie" von Aischylos, schrieb O'Neill 1930 sein Familiendrama. In der antiken Tragödie rächt Klytämnestra das Opfer ihrer Tochter Iphigenie am Gatten Agamemnon. Nach dessen Heimkehr aus dem Trojanischen Krieg erschlägt sie ihn mithilfe ihres Geliebten. Tochter Elektra will den Mord sühnen, treibt ihren Bruder Orest an, das Paar zu töten. Aus Reue wird er wahnsinnig.

Christine Mannon verzeiht ihrem Gatten Ezra nicht, dass er ihr "Baby", den Sohn Orin, in den Krieg schickte. Sie beginnt eine Affäre mit dem "Schandfleck" der Familie - Adam Brant. Als ihr Mann, ein General, zurückkehrt, vergiften sie ihn. Tochter Lavinia - auch verliebt in den ihrem Vater gleichenden Seemann Adam - kommt ihnen auf die Schliche ... O'Neill verknüpfte seine "Orestie" aus Neuenglands Großbürgertum mit dem "Ödipus"-Mythos: Lavinia liebt Papa, Orin die Mama. Neben Ibsen und Strindberg stand auch Sigmund Freud Pate für die 13 Akte seines Mammutwerks. Die erspart uns der Regisseur, kürzt radikal und verlegt den konstruierten Enthüllungskrimi aus Eifersucht, enttäuschter, hemmungsloser und verbotener Leidenschaft in die 60er-Jahre des Vietnamkriegs. Im Zentrum: das in Konventionen gefangene Quartett.

Ausgestorben sind solche Familien wie die Mannons keineswegs: Sie gehen für die heile Fassade und den guten Ruf über Leichen. Die Kehrseite der Medaille: Sie fühlen sich wie lebendig begraben, wollen ausbrechen, was jeder dem anderen missgönnt und verwehrt. Sie reden über Liebe, sind aber dazu unfähig. Das Haus wird zum Grab.

Cornelia Brunn hat den Bühnenraum wie eine Gruft schwarz ausgeschlagen. Darin verbinden Treppen gestaffelte Podeste. Sie gleichen Seziertischen für eine Versuchsanordnung zum Zergliedern der Figuren. Verstrickt in Pläne und verdrängte Gefühle bereiten sie sich in der inzestuösen Neurosenhölle eine tödliche Zimmerschlacht.

Leider geht Regisseur Boris von Poser halbherzig zu Werke, bleibt weitgehend in Inszenierungskonventionen befangen. Den Geschwistern gelingt es aber, die Eltern-Darsteller an die Wand zu spielen. Daniela Zieglers Christine begnügt sich mit elegantem Posieren, Dietrich Hollinderbäumers Ezra ist mehr impotenter Grübler als herrischer Patriarch. Anna Grisebachs Lavinia gewinnt dagegen zunehmend an Kontur und Intensität. Heiko Raulins Orin bringt endlich - nicht nur mit seinem stürmischen Auftritt - Drive und nervöse Spannung ins Drei-Stunden-Spiel. Er vergegenwärtigt die Zerstörung der Seele durch Kriegswahnsinn.

Trauer muss Elektra tragen bis zum 19.2., Ernst-Deutsch-Theater, Karten unter T. 22 70 14 20.