In Philipp Löhles “Genannt Gospodin“ verhandelt eine Clique Themen wie Norm und Freiheit. Das Stück feierte jetzt am Schauspielhaus Premiere.

Hamburg. Wer oder was ist seltsamer? Derjenige, der sich konsequent der gesellschaftlichen Norm entzieht - oder die Norm? Schaut man Gospodin und seinem Bekanntenkreis eine Weile beim Leben zu, ist diese Frage nicht so leicht zu beantworten. Irgendwie, so dämmert es einem im Lauf der Premiere von Philipp Löhles "Genannt Gospodin" am Schauspielhaus, macht beides nicht viel Sinn.

Gospodin - der mit seinen "Freunden" vor allem dann kommuniziert, wenn einer von ihnen etwas von ihm braucht: seinen Kühlschrank, seinen Fernseher, einen Gefallen - entscheidet sich für eine antikapitalistische Lebensform in einem kapitalistischen System. Denn in einem Land, das für Milch Werbung machen muss und diese Milch dann in drei Fettstufen verkauft, läuft etwas falsch, findet er. Und sucht fortan "wahre Freiheit" - jedenfalls das, was er darunter versteht: keine Entscheidung mehr treffen zu müssen.

Bei Johan Heß (Regie) und Anje Kuna (Bühne) sieht das antikapitalistische Nichts im Rangfoyer aus wie eine Mischung aus cooler Lounge und Kita-Krabbelboden. Filz(halb)kugeln, auf denen sich die Akteure (Janning Kahnert, Katja Danowski, Marion Breckwoldt, Michael Prelle) in ihren legostein-einfarbigen Cordanzügen tummeln. Der uniformierte Durchschnitt.

Außer Janning Kahnert als Gospodin übernehmen alle mehrere Charaktere.

Das ist streckenweise unterhaltsam, durchgängig sehr gut gespielt - und hinterlässt doch kein Sättigungsgefühl. Im Programmheft wird u. a. Kierkegaard bemüht: "Es kommt darauf an", hat der gesagt, "dass einer es wagt, ganz er selbst, ein einzelner Mensch, dieser bestimmte einzelne Mensch zu sein." Und dann? Die Antwort gibt Löhle nicht.

Am Ende kommt Gospodin - man erinnere sich an Camus' "Der Fremde" - seiner Freiheit ausgerechnet im Gefängnis am nächsten. Und wir, die Zuschauer, gehen wieder hinaus in den kalten, kapitalistischen Winter. Und kaufen Milch. Zum Sattwerden.