Eine Germanistikstudentin ist zu Gast in Hamburg. Sie will eine Trennung verarbeiten. Doch plötzlich bekommt sie seltsame, poetische SMS von einem Unbekannten. Und lernt bald an der frühlingshaften Alster Friedrich kennen, der sie in Hamburgs Schriftstellerkreise einführt. Während sie das Erwachen einer neuen Liebe genießt, reift in Friedrich der Plan zu einem großen Autoren-Treffen. Aus den Namen der Poeten hat Ulla Hahn ein literarisches Rätsel gemacht, das wir erst nach der letzten Folge auflösen. Hier ist der zweite Auszug aus ihrer Erzählung.

Ich rutschte von meiner Bank auf den Boden des Bootes, streckte mich aus, legte meinen Kopf auf Friedrichs Schoß und schaute in den Hamburger Himmel. Über mir das geschäftige Klicken von Handytasten, Stille. Piepsen. Eine SMS retour.

"He", Friedrich rüttelte mich hoch. "Hier, Stockklop macht mit."

Zweites Zirpen. "Und hier: Kesbroc auch. Das Ganze ist geritzt. Brauchen wir nur noch einen Namen."

"Poets night", schlug ich vor.

"Äh, bäh." Friedrichs Abscheu brachte das Boot fast zum Kentern. "Als hätte die deutsche Sprache nicht selbst die schönsten Wörter für das, was wir vorhaben."

"Alstervergnügen. Wie wär's mit ..."

"Ogottogott. Bloß nicht. Gibt es schon. Und wie. Ist das Letzte. Kannst du ja nicht wissen. Das Allerletzte! Ein ganzes Wochenende. Einmal um die Binnenalster. Eine Fressbude neben der anderen. Und Getöse. Aber irgendwas mit Alster wär schon gut."

"Alsterlust!" Ich kuschelte mich näher zwischen Friedrichs Beine.

"Alsterlust!", schrie der, dass ein Möwenschwarm auseinanderfuhr. "Gibt einen Alsterdampfer, der so heißt. Den heuern wir an."

"Aber da passen doch gar nicht so viel Leute drauf", wandte ich ein.

"Ist doch auch gar nicht nötig!" Friedrich war nicht mehr zu bremsen. "Auf dem Boot: nur wir und unsere Freunde. Das Ganze wird mit Lautsprechern übertragen. Einmal um die Außenalster! Du, tut mir leid, aber ich muss. Die Zeit drängt. Komm mit, wir trommeln auch die anderen zusammen. Dieser Matthias, dieser Diusclau, dass der aber auch noch immer kein Handy hat. Sagt, er hat genug vom Telefon nach einem Tag in der Redaktion. Gutes Blatt, der Wandsbeker Bote . Hat es aber schwer gegen Abendblatt und Morgenpost . Zeig ich dir gleich bei mir. Es dauert ja noch, bis die anderen da sind."

Sie kamen alle fünf. Stockklop als Erster, er war ganz in der Nähe, hatte im Literaturhaus zu tun gehabt, später trudelten auch die vier aus dem Boot ( Korfrühm, Kesbroc, Nehei und Thorg, d. Red. ) ein. "Alsterlust" steckte alle an, und die späte Stunde schien keinem etwas auszumachen.

Im Gegenteil. Sie schienen geradezu aufzuleben, je näher es auf zwölf zuging und der Mond aufstieg und Friedrichs Dachterrasse, von Heizstrahlern gut gewärmt, in sein mildes Vergebungslicht tauchte. Und ich wusste nicht, war ich nun traurig, dass ich nicht mit Friedrich allein war, oder überwogen Aufregung und Neugier, plötzlich mit so vielen Dichtern auf Du und Du zu sein? Denn die förmliche Anrede hatten sie alle gleich abgelehnt, Friedrich hatte mich als seine Freundin und damit als Freundin der Poesie vorgestellt.

Wäre mir nicht aus dem Studium hinlänglich bekannt gewesen, dass gute Dichtung von guten Dichtern geschrieben wird und nicht von guten Menschen, an diesem Abend hätte ich's im Eildurchgang erlebt. Schnell waren sich Gäste und Gastgeber über Boot und Catering einig; die Organisation sollte wie bisher der NDR übernehmen, besonders was die Beschallung anging. Doch dann ging es darum, die Liste der Einzuladenden zu bestimmen. Als Erstes die Vortragenden. Natürlich setzten sich die sechs gleich obenan, kein Problem, sie wären ja auch ( bei der Matinee, d. Red. ) in der Oberstraße aufgetreten. Aber dann!

"Diusclau", sagte Friedrich. "Auf jeden Fall haben wir dann schon mal gute Presse."

"Käseblatt", knurrte Hein Neihe. "Geht sowieso bald ein. Und dann kommt der Matthes garantiert wieder mit seinem 'Der Mond ist aufgegangen'. Kann ich echt nicht mehr hören. ... 'Und unsern kranken Nachbarn auch.' Ätzend." Neihe schüttelte sich, stürzte den Tokaier runter wie Wasser und schnalzte mit der Zunge.

"Wat mutt, dat mutt", mischte sich Thorg ein, der mich so mir nichts dir nichts als "Lütt Matten" angeredet hatte. Er war aus Quickborn zu Besuch bei Pitt Korfrühm.

"Und du, Klaus", der Gastgeber goss sich kräftig vom Rotspon nach, "wieder mit 'Lütt Matten de Has' dabei?" Hörte ich da ein bisschen Neid auf den Kollegen heraus? Klaus Thorg hatte für seine niederdeutsche Dichtung gerade von der Uni Bonn den Ehrendoktor bekommen. Mit "Min Jehann", einem anrührenden Gedicht über den Verlust der Kindheit, hatte er es sogar bis in die Tagesschau gebracht. Jedenfalls für drei Sekunden und vier Zeilen.

"Also! Wer außer uns soll noch aufs Boot?", machte Stockklop der Stichelei ein Ende. "Singles ist klar. Dann Lebbeh und Mingfle. Die sind absolutes Muss."

"Na, und der Morst, der Theodor! 'Die graue Stadt am Meer', jedes Mal ein Renner. Denken die Hamburger doch immer, der meint sie und nicht Husum. Und wenn man mal einen Rat braucht, weiß der Fuchs Bescheid. Guter Dichter. Guter Jurist..." Thorg zwirbelte seinen Kinnbart.

"Wie wärs mit Tefich, dem Hubert? Und dem Hanns Henny, dem Najhn?", schlug Hein Neihe vor.

"Dann aber auch Wolfgang und Arno, den Chertbor und den Tdimsch", ergänzte Korfrühm.

"Tdimsch!" Stockklop spuckte den Namen verächtlich von sich. "Wenn ihr meint, der Plagiator müsste dabei sein mit seiner Gelehrtenrepublik. Mir einfach den Titel zu klauen."

Pitt und Hinrich prosteten sich zu. Auch Korfrühm hatte, erklärte Friedrich mir später, hatte einen Titel übernommen. Von Kesbroc. Während der fromme Barthold Hinrich seinen Gedichtband mit "Irdisches Vergnügen in Gott" überschrieben hatte, war bei Pitt Gott zum G geschrumpft. Nur das irdische Vergnügen war bei beiden ein großes und gleiches. Die Kollegen vertrugen sich prächtig.

Noch so einige Namen kamen zusammen an diesem Abend, und kaum einer ging durch, ohne dass ihn nicht wenigstens einer der Anwesenden belästerte. Ob Hans Leip oder Philipp von Zesen, Ben Witter, Bernward Vesper, Willi Bredel oder Axel Eggebrecht und viele andere Namen mehr. Auch Gorch Fock, Sohn eines Seefischers, wurde nicht vergessen. Mir schwirrte der Kopf.

An die hundert Dichter brachte die Truppe zusammen. Und das in Hamburg, das doch bloß stolz war auf Hafen und Handelskammer, das Tor zur Welt auf hoher See suchte und nicht in den Tiefen der Dichtkunst.

Ulla Hahns Erzählung "Alsterlust" mit Illustrationen von Klaus Fußmann, Friedel Anderson und Till Warwas, hrsg. von Wilfried Weber (Buchhandlung Felix Jud, Neuer Wall 13). 38 Euro, Vorzugsausgabe mit einem farbigen, signierten Linoschnitt von Klaus Fußmann 248 Euro. Lesen Sie morgen den dritten Teil.