Hamburg. Anheizer überflüssig: Klopapierrollen, Schuhe, Plastikbecher samt Inhalt, Menschen, Jacken und Leuchtstäbe fliegen schon vor den ersten Tönen von Deichkind durch die Alsterdorfer Sporthalle. In neonfarbene Müllsäcke gekleidete Hundertschaften schreien sich heiser. Die ersten volltrunkenen Fans werden hinausgeworfen, fordern lautstark ihr "Krawallrecht" ein. Durch das Männerklo sausen drei bunt geschminkte Mädchen mit Federn im Haar und schubsen die Jungs an der Rinne um; Jubel entsteht, "Kein Gott. Kein Staat. Lieber was zu saufen." Ohne Diskussion: Deichkind ist das popkulturell relevanteste deutsche Musikprojekt der Dekade. Hedonismus bis zum Abwinken.

Und so ist die vorerst letzte Deichkind-Show eine wahnwitzige Aneinanderreihung von schrägen Einfällen und symbolischen Akten der totalen Losgelöstheit. Zu Beginn wird ein Kunstfilm gezeigt. Der Effekt des mystischen, langsamen Vorspanns ist, die Spannung ins Extreme zu steigern, dabei ist die Stimmung schon seit einiger Zeit superlativ.

Dann die ersten Töne der Hymne "Arbeit nervt", im Blitzlichtgewitter sieht man 5000 Fans auf und ab springen. Konfetti ist kein Highlight, sondern der Anfang der Show, es schießt aus einem riesigen Kegel auf der Bühne. Ein großer Vogel fliegt zu "23 Dohlen" über die Köpfe der Musiker hinweg, Wodka fließt literweise aus den Schläuchen der "Zitze" genannten Saufmaschine in die Münder der Meute, ein Schlauchboot schwimmt über das Fan-Meer, Unmengen an Federn werden über das schwitzende Publikum verstreut. Entpersonalisierte Gestalten mit von illuminierten Pyramiden-Hüten verdeckten Gesichtern stehen wie Kraftwerk in einer Reihe - "Ich und mein Computer".

"Aufstand im Schlaraffenland": Die Protagonisten springen auf Trampolinen oder mit Springstäben in Fantasiewelten aus Fröschen mit Uhren um den Hals. Der Cirque du Soleil kann einpacken. Erst zur Zugabe transformiert sich die Kunstsause in eine Hip-Hop-Party mit alten Hits wie "Bon Voyage" und "Limit". Ein würdiger Abschied, denn Deichkind will sich etwas von der Bühne zurückziehen. Fast. Schon im Februar läuft auf Kampnagel die Diskurs-Operette "Deichkind in Müll" und versucht, das Geheimnis um den Starkult zu erklären.