Zahi Hawass, Ägyptens Chefverwalter antiker Kunst, holt zurück, was seiner Ansicht nach unrechtmäßig in internationalen Museen steht. In London hat er jetzt einen opulenten Bildband vorgestellt. Fotos daraus sind demnächst in Hamburg zu sehen. Von Joachim Mischke

Dieser Mann hat ein Ego, um das ihn Kleopatra beneidet hätte. Er habe ganz bestimmt nicht vor, heute Abend den Stein von Rosette mitzunehmen, verspricht Zahi Hawass, als wäre er eine Unschuld vom Lande. Die Pointe wird mit Szenenapplaus belohnt. Das British Museum ist ja auch der denkbar beste Ort dafür.

Hawass, allmächtiger und gefürchteter Chef der Antikenverwaltung in Kairo und mit Spitznamen wie "Ein-Mann-Konfliktzone" oder "Pharao" charakterlich angemessen erfasst, steht vor einer riesigen Ramses-Statue, die Vitrine mit dem Stein von Rosette, seit 1802 in London, direkt im Blick. Links neben ihm der Direktor des Hauses und der ägyptische Botschafter. Im Publikum ist auch der aktuelle Earl of Carnarvon, ein Nachkomme des Adligen, der jene Expedition finanzierte, bei der Howard Carter 1923 das Grab von Tutanchamun fand. Eine Art Heimspiel im Reich der moralisch Bösen also für den Gast aus Kairo, wenige Meter entfernt von dem weltberühmten Relikt, das mit seinen Inschriften in drei Sprachen der Schlüssel zur Entzifferung der Hieroglyphen war.

Hawass hatte bei dieser London-Visite angemeldet, dieses Symbol der ägyptischen Identität endgültig in seine Heimat zurückholen zu wollen und kam damit prompt groß in die BBC-Spätnachrichten. Der Abend hatte sich also schon gelohnt. Dass er eigentlich angereist war, um einen ebenso prächtigen wie teuren Bildband mit großformatigen Fotos ägyptischer Kunst vorzustellen, schrumpft dagegen zur Nebensache. In Hamburg werden viele dieser Fotos ab März 2010 im Völkerkundemuseum gezeigt.

Andere internationale Museen, in denen Schätze vom Nil die Massen und ihr Geld anziehen, kommen bei Hawass weniger glimpflich weg als das British Museum. Rund 5000 Kunstwerke hat der ägyptische Vize-Kulturminister nach eigener Aussage bereits wieder heimgeholt, in regelmäßigen Abständen werden Museumsdirektoren in aller Welt von ihm verbal abgewatscht, damit diese Zahl weiter steigt.

Vor einigen Wochen erst erwischte es den Louvre, wegen fünf Wandmalerei-Fragmenten aus dem Tal der Könige. Gestohlen und dennoch in den 1980ern von den Franzosen angekauft. Sagt Hawass. Und drohte, mit dem Abbruch der Forschungsbeziehungen. Da ist er kategorisch.

Hawass hat beinharte Regeln aufgestellt, um die seiner Meinung nach fehlende Zucht und Ordnung in die vielen Schatz-Suchen zu bringen, die den Wüstensand seiner Heimat durchkämmen. "Früher war alles möglich, irgendwelche Amateure konnten einfach so vor sich hin graben. Das hat vieles zerstört." Wenn jetzt etwas Wichtiges gefunden wird (und was wichtig ist, entscheidet niemand außer Hawass), darf nur er, der Chef des Supreme Council of Antiquities, es vor laufenden Kameras nationalstolz verkünden. Wer sich daran nicht hält und eigenmächtig handelt, kann seine Schaufeln einpacken und fliegt raus. "Wenn Sie mich angreifen, werde ich zurückschlagen. Aber ich würde Sie nie daran hindern, in Ägypten zu arbeiten - wenn Sie sich an die Regeln halten. Ich nehme nie etwas persönlich. Ich bin ein Ehrenmann. Ich halte mich an die Regeln." Hawass hasst Amateure und zu verschenken hat er erst recht nichts. "Ägypten hat jahrzehntelang so viel weggegeben, ohne auch nur einen Penny dafür zu bekommen! Als ich mein Amt antrat, habe ich verkündet, es gibt jetzt keine Gratismahlzeiten mehr. Wer ein Ausstellungsstück haben will, muss bezahlen."

Die Briten haben den Fall Rosette, das Neue Museum Berlin hat, rechtlich und historisch ganz anders geartet, die Nofretete. Als die Schöne vom Nil, seit 1913 an der Spree eingebürgert, im Oktober in ihre spektakuläre Bleibe gebracht wurde, flackerte der alte Streit zwischen Hawass und Berlin wieder neu auf. Hawass will Nofretete mindestens als Leihgabe zur Eröffnung des neuen "Grand Museum" in einigen Jahren, am besten aber natürlich für immer und ewig. Michael Eissenhauer, Direktor des Neuen Museums, reagierte vor einigen Tagen entspannt auf die Drohkulissen und auf Hawass' Behauptung, bei der Fundteilung damals sei es nicht gerecht zugegangen, die Ägypter seien mit Taschenspielertricks über den Expeditionstisch gezogen worden.

Hawass' Antwort darauf bleibt stur, sie bleibt aber auch im Ungefähren: "Offiziell haben wir noch nicht angefragt, die Büste von Nefertiti wiederzubekommen", bestätigt er Eissenhauer, er habe aber "viele Belege für Beweise", dass es damals nicht mit rechten Dingen zuging. Am 20. Dezember will Hawass den Kontrahenten aus Berlin treffen, dann geht der Clinch, bei dem Kairo nicht die besten Karten haben dürfte, in die nächste von wohl noch vielen ergebnislosen Runden.

Auch hier geht es dem Ägypter, der in seiner Heimat bekannt wie ein bunter Hund ist, wie immer, ums Prinzip und auch um eine Frage der nationalen Ehre und der Würde. "Wir sind doch nicht die Piraten der Karibik. Wir sind ein zivilisiertes Land!", redet sich Hawass in Rage. "Es ist wirklich nicht nett, wenn man sich um die Ausleihe von etwas bemüht, was einem gehört, und dann ein Nein zu hören bekommt." Eissenhauers Ablehnung ist nur eine Steilvorlage für Hawass' Temperament. "Das muss er doch sagen! Es ist sein Job, dafür zu sorgen, dass sie bleibt, und meiner, sie zurückzuholen." Ob er dieses Hauen und Stechen genießt? "Nein. Ich erledige nur perfekt meinen Job." Eine Zeitung bezeichnete Hawass als "Kampfelefant der Ägyptologie", seine Kommentare dazu sind ein Schulterzucken und ein zufrieden dahingegrummeltes "Okay ...".

James Cuno, Direktor des Art Institute Chicago, hat in seinem Buch "Who Owns Antiquity?" seine Antwort auf die komplizierten Eigentumsfragen und -verhältnisse so formuliert: Es gehe nicht um Interessen einzelner moderner Nationen, sondern um das "gemeinsame kulturelle Erbe menschlicher Wesen". Auch das eine Ansicht, die Hawass in Rekordzeit zur Weißglut bringt: "Mag sein, aber Menschen haben das Nilreich in den vergangenen Jahrhunderten vergewaltigt und Monumente gestohlen, weil sie dachten, sie seien für alle. Das ist falsch! Wir wurden vergewaltigt! Dieser Mann kann so etwas nicht behaupten!"

Eines der nächsten Hawass-Projekte ist ein "Replica Valley", ein Tal der Nachbauten, in dem einige der berühmtesten Grabstätten originalgetreu gezeigt werden, weil die Originale tagtäglich unter dem Ansturm Tausender von Touristen leiden. Den Einwand, das sei dann doch nur wie Disneyland mit Mumien, lässt Hawass nicht gelten. "Die Alternative wäre, diese Gräber unwiederbringlich zu verlieren."

Dass in Hamburg gerade eine Ausstellung sehr gut besucht ist, die lediglich Nachbauten der Schätze Tutanchamuns zeigt, sieht Hawass mit gemischten Gefühlen: "Mir hat es nicht gefallen, dass eine solche Ausstellung ohne unsere Zustimmung durch Europa tourt. Aber wenn sie Menschen weiterbildet, unterstütze ich das."

Ein weiterer Aspekt seiner Aufräumarbeiten zu Hause: Hawass brachte viele seiner Landsleute dazu, sich für die vorislamische Geschichte ihres Landes zu interessieren. Bestimmt keine einfache Aufgabe, wenn man an den tagespolitischen Druck durch die Islamisten denkt.

Doch es gibt ja auch noch den hollywoodesk inszenierten Entertainer, den Liebling von Kindern rund um den Globus. "Action Zahi", nur echt mit dem Hut, den er immer trägt, wenn es antik, staubig oder sonstwie schmutzig und schwierig wird. Dieser Hawass lässt dann auch mal, wie 2002 geschehen, weltweit live aus der Cheopspyramide die Öffnung einer Steinplatte in einem Luftschachts übertragen, hinter der sich aber leider nur eine weitere Steinplatte befand (für den deutschen Forscher Rudolf Gantenbrink, der vor Hawass von diesem Schacht-Fund berichtet hatte, setzte es natürlich sofort einen Landesverweis). Dort soll es, ganz bald natürlich, weitergehen mit der Erkundung. Diesmal allerdings ohne TV-Kameras. Hawass begann seinen Vortrag in London mit einem süßlichen Selbstbauchpinselungs-Film, in dem Omar Sharif scheinbeleidigt erzählen darf, seit es Zahi Hawass gäbe, sei er doch tatsächlich nicht mehr der bekannteste aller Ägypter.

Am Ende des Vortrags folgen Dutzende von Fotos, auf denen Stars und Staatsgrößen in zerknautschter, verschwitzter Freizeitkleidung bei den Pyramiden zu sehen sind. Immer mit Dr. Zahi und der, klar, immer mit seinem Hut. Regisseur George Lucas hat ihm die Indiana-Jones-Peitsche aus seinen Filmen über den Haudrauf-Archäologen geschenkt. US-Präsident Barack Obama hat sich über eine Hieroglyphe mit Segelohren amüsiert. Für den Microsoft-Fantastilliardär Bill Gates hat Hawass das Essen bezahlt. Sagt Hawass, der sich nun vom Kultur-Missionar im feinen Zwirn in eine One-Man-Show verwandelt hat. Sein Hut ist für 45 Dollar im Internet bestellbar, das Geld geht an ein Museum für Kinder in Kairo.

Kommende Attraktionen? Überhaupt kein Problem für den versiert orakelnden Groß-Promoter Hawass, der seine schon angekündigte und von Gegnern freudig ersehnte Pensionierung im Mai 2010 auf Bitten von Präsident Mubarak auf unbestimmte Zeit verschoben hat. In den nächsten Tagen würde es ganz bestimmt großartige Neuigkeiten über die Identifizierung der Familie von Tutanchamun geben, und auch zur Todesursache des weltbekannten Pharaos. Die Pressekonferenz würde im Tal der Könige stattfinden. Kleiner hat Hawass es nicht, warum auch. Dezenz wäre für jemanden wie ihn nur Schwäche.