Vor 50 Jahren starb der Hamburger Dichter und Dramatiker. Er war Orgelbauer, Tierzüchter, Hormonforscher und Literat: Jahnn hatte viele Talente, war aber Zeit seines Lebens umstritten.

Hamburg. "Ich habe keine Ähnlichkeit mit den Gerüchten über mich." Dieser stolze und zugleich verzweifelte Satz stammt aus der Feder des 1894 in Hamburg-Stellingen geborenen Schriftstellers Hans Henny Jahnn. Er hat damit versucht, seine Sehnsucht nach Aufnahme in die hanseatische Gesellschaft und der ständig erfahrenen Ausgrenzung aufzuheben. Denn Jahnn gehörte zeitlebens zu den wichtigsten und zugleich umstrittensten deutschsprachigen Schriftstellern. Seine expressiven, wuchtigen Texte, ihr antibürgerlicher Gestus haben Kritik und Publikum gleichermaßen verstört wie fasziniert. Bis heute, 50 Jahre nach seinem Tod am 29. November 1959.

Sein Erstlingsdrama "Pastor Ephraim Magnus", für das Jahnn 1920 den renommierten Kleist-Preis erhält, provoziert einen Skandal, angesichts von Themen wie Nekrophilie, Blasphemie und Verstümmelung. Die Öffentlichkeit reagiert verstört auf die blutige Archaik, die Gewalttaten und sexuellen Ungeheuerlichkeiten, die Jahnn in seinem Theaterstück anhäuft. Auch sein Haupt- und Lebenswerk, der dreiteilige Romanzyklus "Fluss ohne Ufer", stößt überwiegend auf Unverständnis, als der letzte Teil 1961 posthum veröffentlicht wird. Über 2000 Seiten ergießt sich ein gewaltiger Erzählstrom, ein ungeheures Buch, das in der deutschsprachigen Literatur seinesgleichen sucht. Neben seinen literarischen Arbeiten wirkte Jahnn als Orgelbauer und -sachverständiger der Freien und Hansestadt Hamburg; er hatte großen Anteil daran, dass die Schnitger-Orgel in St. Jacobi wieder in ihren historisch korrekten Zustand versetzt wurde. Die zwischen 1926 und 1931 errichtete Orgel in der Aula der Heinrich-Hertz-Schule gilt als sein bedeutendstes Instrument. Er war Musikverleger (Buxtehude), Tierzüchter und Hormonforscher.

Als Jugendlicher erklärt sich Hans Henry August Jahn zum weiblich bestimmten Schriftsteller Hans Henny Jahnn. Sein lesbares Coming-out ist vollzogen. Ein Skandal. 1915 flieht er mit seinem Jugendfreund Gottfried Harms nach Norwegen. Konsequent verweigern sie sich der deutschnationalen Kriegsbegeisterung. Ohne Ausbildung und weitgehend mittellos leben die beiden bis 1918 unter erbärmlichen Verhältnissen in der norwegischen Einsamkeit. Dort gehen sie ihrer Leidenschaft nach: der Musik und dem Schreiben. Für Jahnn wird Norwegen zur zweiten Heimat, die Stille und die Einsamkeit prägen ihn, die herbe Schönheit der Natur und die nordischen Mythen mit ihren Fabelwesen. 1918 kehrt er zurück und gründet die heidnische Glaubens- und Künstlergemeinschaft Ugrino mit dem Ziel, dem Verfall der Zivilisation durch eine ästhetisch und kultisch vermittelte Lebensform zu begegnen. Jahnn wendet sich gegen den Paragrafen 218, er spricht sich gegen die Todesstrafe aus, gegen Rassismus und Nationalismus. Und er ist ein Gegner der Nationalsozialisten. "Der Feind steht rechts", mit diesem Fazit schließt Jahnn 1931 eine Rede vor der linken "radikal-demokratischen Partei". Kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung durchsuchen Polizisten Jahnns Hamburger Wohnung. Er wird öffentlich angegriffen und auf Flugblättern als "Kulturbolschewist", Jude und Homosexueller denunziert. Jahnn lässt sich 1934 auf der dänischen Ostseeinsel Bornholm nieder. 1950 kehrt er nach Hamburg zurück.

In der Folgezeit zeigt er sich als engagierter Beobachter des literarischen und gesellschaftlichen Lebens. "Zwischen den Stühlen" heißt eine 1951 von ihm verfasste Polemik, in der sich auch seine eigene Situation im letzten Lebensjahrzehnt widerspiegelt: Jahnn klemmt sich zwischen die politischen Lager, passt in keine Schublade, steckt im Widerspruch zwischen literarischem Schaffen und öffentlicher Wirkungslosigkeit. Er will nicht mehr dem Dunstkreis einer subkulturellen Szene zugeordnet werden. Der knapp 60-Jährige will Öffentlichkeit, er will literarische Reputation und materielle Anerkennung. Ein unbürgerlicher Künstler, der sich nach den Wonnen der bürgerlichen Gewöhnlichkeit verzehrt.

An der Seite von Gustav Heinemann, Heinrich Böll und Erich Kästner unterstützt Jahnn die Initiative "Kampf dem Atomtod". 1958 spricht er auf dem Hamburger Rathausmarkt zu 150 000 Demonstranten. Jahnn verwirft seine Epoche, weil sie das Leben nicht anerkennt, sondern zerstört: durch Tierversuche und Leibfeindlichkeit, Massenmord und Krieg, Radioaktivität und Technik-Verherrlichung.

Jahn träumt vom künstlerischen Welterfolg, doch der Erfolg bleibt ihm versagt. Seine Stücke werden nicht in den Theatern gespielt. Von seinem Hauptwerk, "Die Niederschrift des Anias Horn", werden nicht einmal 2000 Buchexemplare verkauft. Beim zweiten Band von "Fluss ohne Ufer" halbiert sich selbst dieses magere Ergebnis. Ein Debakel. Die höchste Ehrung, die ihm zuteil wird, ist 1956 der Lessing-Preis seiner Heimatstadt. Hier, in der Freien und Hansestadt, trägt er entscheidend mit zur Gründung der Freien Akademie der Künste bei. Jahnn wird als ihr Präsident gewählt und zum Generalsekretär des deutschen Pen-Zentrums in Düsseldorf ernannt.

Homoerotik und Zivilisationskritik, Jugend und Hässlichkeit, Inzest, Eifersucht und Tod sind die wiederkehrenden Themen seines Werkes. Etwa in seinem Roman "Perrudja" oder dem Antikendrama "Medea". Jahnn erarbeitet eine neue, ungewöhnliche Fassung der antiken Tragödie. Mit seiner 1926 veröffentlichten Version entführt Jahnn den Leser in eine archaische Welt fern unserer Kultur der Aufklärung. Im Unterschied zum Mythos ist seine Protagonistin nicht nur alt und grausam. Medea ist eine Schwarze, eine Afrikanerin.

Sonntag, 29.11., 15 Uhr, Nienstedtener Kirche: Gedenkveranstaltung mit Jahnns Großnichte Henny Jahnn - mit anschließendem Gang zu Jahnns Grab auf dem Nienstedtener Friedhof.