Hamburg. Die Kindheit ist ein wunderbarer Ort. Zumal in der Erinnerung, erst recht an Weihnachten. Der Schnee ist viel weißer, der Punsch viel punschiger, die Tanten tantiger und die Onkels onkeliger. Die Spiele sind ein großes, ernsthaftes Vergnügen, Briefträger machen "Geister mit ihrem Atem", die "fischefrierende, eisgeränderte Welt" ist ein "kleines, von Eisengittern begrenztes Weltall".

Auch wer noch nie einen Fuß ins walisische Kleinstädtchen Swansea gesetzt hat, lässt sich bereitwillig bezaubern von Dylan Thomas' "Erinnerung an eine walisische Weihnacht", einer individuellen Sentimentalität, die der ebenfalls walisische Regisseur Michael Bogdanov am Altonaer Theater mit leichter Hand zur kollektiven wandelt.

Er bringt ein Singspiel im Sepialook auf die Bühne, ein Weihnachtsmärchen für erwachsene Kinder, das schnell vergessen lässt, dass am Hamburger Heiligabend wohl auch in diesem Jahr keine Flocke vom Himmel fallen wird. In der Erinnerung wenigstens, so die trotzige Botschaft, schneit es immer an Weihnachten.

In Tweed und dickem Strick, mit Bommelmützen und kurzen Bengelhosen, voll rotznasiger Unbekümmertheit und "windgeküsster Wangen" lässt das Ensemble die Magie vergangener Winter aufleben. Charmant: Der kleine Boris Aljinovic spielt als Erzähler den großen Dylan, der große Peter Theiss den kleinen Dylan, der das Gesetz der Straße am eigenen Leib erfährt: "Lasst uns mitmachen oder ich gebe dir einen Filmstarkuss."

Auch wenn das Rindernierenfett im Plumpuddingrezept aus dem (von Aljinovic illustrierten) Programmheft nicht jedermanns Sache sein dürfte, meint man doch durch das illustrative, schwungvolle Spiel der Darsteller schnell den Duft von Mandarinen und Braten und Glühpunsch zu erahnen. Keine Geschichte wird hier erzählt, sondern ein Potpourri aus Momenten, Typen und Szenen, eine Idealisierung nicht ohne Selbstironie, eine Weihnachts-Typologie in der poetischen Sprachverliebtheit des Dylan Thomas (deutsch von Bogdanov und Ulrike Engelbrecht).

Strukturiert wird der Abend durch die Musikstücke von Jack Herrick. Es ist dem Theater das nicht selbstverständliche Kunststück gelungen, Schauspieler zu besetzen, die nicht nur singen können und ihre Rollen beherrschen, sondern fast alle auch ein Instrument: Harfe und Klavier, Mundharmonika und Akkordeon, Blockflöte und Schlagzeug.

So entsteht eine kleine Welt ganz groß, eine Zeit, staunenswert wie wohl nie mehr im Leben. Das gerät in all der Erinnerungsseligkeit bisweilen etwas süßlich und überdeutlich kinderaugenrollend, aber wenn schon zu Weihnachten kein Kitsch sein darf, wann dann?

Erinnerung an eine walisische Weihnacht: Altonaer Theater, bis 26. Dezember, Tel. 39 90 58 70