Der junge Franzose wird gefeiert wie ein Rockstar - dabei singt er die delikatesten Arien aus Barock und Frühklassik.

Hamburg. Countertenöre umweht stets ein Hauch von Skandal. Eine engelsgleiche Frauenstimme in einem männlichen Körper, das hat das Publikum schon zu Barockzeiten beunruhigt, und beileibe nicht nur das weibliche.

Der Franzose Philippe Jaroussky verkörpert diesen Widerspruch geradezu idealtypisch mit seiner knabenhaften Erscheinung und den vollen Lippen. Als Jaroussky zum ersten Mal in Hamburg auftrat, hatten ihn nur Insider auf der Rechnung; alle anderen überwältigte er mit der Intensität seines Musizierens. Drei Jahre und eine beachtliche Sammlung von CD-Aufnahmen und hochkarätigen Preisen später kann sich der französische Countertenor zu den Stars zählen, denen eine Welle öffentlicher Begeisterung vorausrollt. Das will bei einem Vertreter der Barockszene auch heute noch etwas heißen.

Gestern haben Jaroussky und das Concerto Köln mit Opernarien und Instrumentalwerken von Händel und dem Bach-Sohn Johann Christian in der Laeiszhalle gastiert. Erstaunlich, dass das Konzert allenfalls durchschnittlich besucht war. Machte aber nichts: Das bemerkenswert junge Publikum empfing Jaroussky wie einen Rockstar und klatschte von Anfang an frenetisch.

Dabei lieferten die Künstler erst einmal Konfektionsware ab: Händels "Ankunft der Königin von Saba" geriet dem Orchester schnell, aber unscharf; Jaroussky wiederum hatte bei seinem ersten Stück, Rezitativ und Arie aus Johann Christian Bachs Oper "Artaserse", etwas Luft im Stimmklang und wurde zudem immer wieder vom Orchester überdeckt. Just als der Hörer um die erhofften anderthalb Sternstunden zu fürchten begann, schienen die Musiker Nervosität und Reisestress überwunden zu haben: Da zogen die Instrumentalisten in aller klanglichen Raffinesse einen üppig verzierten Vorhang für den Sänger auf, und in der Arie "Stille amare, già ve sento" fand Jaroussky zu jener Intimität und Natürlichkeit im Ausdruck, die sein Singen so ergreifend macht. Diese Dringlichkeit verlieh er noch dem verstiegensten Rokokoschnörkel in der Musik von Bach.

Es ist kein Zufall, dass Johann Christian als Vertreter des empfindsamen Stils lange vernachlässigt wurde: Diese Musik lebt nur, wenn man sie so kunstvoll behandelt wie Jaroussky, der aus jeder Silbe ein architektonisches Kunstwerk macht, ohne manieriert zu wirken. In Bachs Cembalokonzert f-Moll zauberten die Streicher einen samtdunklen Klang, breiteten das musikalische Gespräch mit dem Solisten Nicolau de Figueiredo in aller Ruhe aus und reagierten fein auf dessen metrisch freies Spiel.

Aber auch dem wesentlich robusteren Händel gewannen die Künstler Momente ab, in denen das Herz stehen bleiben wollte. Mal mischte sich Jaroussky unmerklich in den Orchesterklang, aber doch so, dass sein Glockenton bis in die hinterste Reihe drang. Dann wieder schüttelte er die Koloraturen locker aus der Schulter. In der Wassermusik schmetterten die Barockhörner prachtvoll und fast ohne zu kieksen, und die Holzbläser verzierten geradezu übermütig.

Da sah man gerne nach, wenn Jaroussky mal ein Spitzenton matt geriet, wenn ein Einwurf klapperte oder die Geigen sich nicht sofort auf ein "d" einigen konnten.

Ein Ärgernis dagegen war die äußere Präsentation. Das fing mit der Lichtregie an: Da Jaroussky auswendig sang, wurde auch sein Gesicht nicht beleuchtet. Das überdimensionierte Programmheft geizte mit allem, was nicht mit drucktechnischer Ausstattung zu tun hatte. Gerne hätte man etwas über die Werke erfahren, aber auch, wie die Satzbezeichnungen lauteten und welche Musiker auf der Bühne standen. Eine so lieblose Behandlung haben weder die Künstler noch das Publikum verdient. Das hat die Musiker nämlich nicht nur gefeiert, sondern ließ sich auch anrühren. Die vielen atem- und hustenlosen Momente zeigten es.