Berlin. Joachim Unseld hat sich von seinen Anteilen am Suhrkamp Verlag getrennt. Ihm gehörten bislang 20 Prozent des vorerst noch Frankfurter Unternehmens - und auch wenn über den Preis, zu dem die Anteile ihren Besitzer wechseln, nichts verlautete, muss man Joachim Unseld zu diesem Schritt in jedem Falle gratulieren. Er lässt damit ein skandalgeschütteltes Haus hinter sich, das - wie die jüngste Affäre um ein Buch von Katharina Hacker zeigt - wohl in absehbarer Zeit nicht zur Ruhe kommen wird. Aber auch die beiden verbliebenen Gesellschafter, Ulla Berkéwicz und die Medienholding AG Winterthur, die Unselds Anteile übernehmen, dürften erleichtert sein. Ein mit fast allen juristischen Mitteln ausgetragener Streit zwischen Ulla Berkéwicz, der Witwe des Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld, und dessen Sohn Joachim Unseld findet damit sein außergerichtliches Ende.

Eskaliert war der lange schwelende Konflikt spätestens Anfang des Jahres, als Ulla Berkéwicz ohne Joachim Unselds Zustimmung verkünden ließ, der Verlag werde zum 1. Januar 2010 nach Berlin umziehen. Sie verbrämte diesen Entschluss mit allerlei steilen Thesen über die gewachsene kulturelle Bedeutung der Hauptstadt. Doch immer wieder war die Vermutung zu hören, dass der Verlag in keiner beneidenswerten wirtschaftlichen Situation ist und durch den Umzug unter anderem seine Belegschaft zu verkleinern und sich durch den Verkauf Frankfurter Immobilien zu sanieren versuche.

Ein zweites juristisches Feld tat sich auf, als Ulla Berkéwicz Ende Oktober zusammen mit dem Deutschen Literaturarchiv (DLA) in Marbach bekannt gab, das Suhrkamp Archiv werde an das DLA verkauft - ebenfalls ohne Einverständnis des Miteigentümers Joachim Unseld. Der ließ das DLA daraufhin wissen, dass er dem Geschäft nicht zustimme. Da er außerdem gerichtliche Schritte gegen konkrete Umzugsplanungen ins Auge fasste, schien Suhrkamps Wechsel nach Berlin vorübergehend infrage gestellt. Doch da sich Unseld nun aus dem Kreis der Gesellschafter verabschiedet, stehen dem von Ulla Berkéwicz verordneten Aufbruch zu hauptstädtischen Ufern zumindest keine juristischen Schwierigkeiten mehr im Weg.

Allerdings bleiben dem Verlag seine finanziellen, personellen und Image-Sorgen. Gerade letztere haben sich in den vergangenen Tagen noch einmal verschärft.

2006 wurde Suhrkamp-Autorin Katharina Hacker für ihren Roman "Die Habenichtse" mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, womit sie dem Verlag einen der wenigen Bestseller-Erfolge der jüngeren Zeit bescherte. Fast vier Jahre arbeitete die Schriftstellerin daraufhin an einem neuen Roman "Alix, Anton und die anderen". Die Form, die sie für ihn fand, ist ungewöhnlich: Sie schrieb ihn in zwei Spalten, von denen eine die Romanhandlung wiedergibt, die andere diese Handlung nicht nur zu ergänzen, sondern manchmal auch zu korrigieren scheint.

Über dieses Buch haben sich Verlag und Autorin entzweit - was zwar zu den unschönen, aber letztlich nicht so seltenen Wendungen der Verlagsarbeit gehört. Üblicherweise bricht ein Autor dann mit seinem Manuskript zu einem anderen Verlag auf, der sich für das kommende Buch begeistern kann und lässt es dort erscheinen. In diesem Fall nahm die Angelegenheit jedoch eine bizarre Wendung, von der Katharina Hacker auf www.katharinahacker.de berichtet.

Anfang Juni bat sie die Leitung des Suhrkamp Verlags, sie mit ihrem neuen Roman ziehen zu lassen. Doch Ulla Berkéwicz schrieb ihr zurück, dass sie auf dem Buch "bestehe". Verblüffend ist das, weil zu diesem Zeitpunkt noch kein Vertrag darüber mit Suhrkamp geschlossen worden war.

Dennoch meinte Ulla Berkéwicz offenbar, ihr Haus habe ein Recht auf das Buch, da das Lektorat bereits Arbeit in das Manuskript investiert hatte und "Alix, Anton und die anderen" in der Verlagsvorschau angekündigt worden war. Obwohl die schwierige zweispaltige Struktur des Romans im Druckbild des Verlags nicht so wiedergegeben wurde, wie die Autorin das beabsichtigt hatte, gab Katharina Hacker nach: "Um eine sich womöglich Monate hinziehende juristische Auseinandersetzung zu vermeiden", schreibt sie im Internet, "hat in meinem Namen ein Rechtsanwalt dem Verlag die Hardcover-Rechte an dem Manuskript, wie es zu jenem Zeitpunkt vorlag, angeboten." Und Ulla Berkéwicz habe diese Rechte erworben. Damit bekam die Angelegenheit albtraumhafte Züge für die Autorin. Ihr Buch wird gegen ihren Willen in einer Form veröffentlicht, die ihren Absichten widerspricht. Es erscheint zudem in einem Verlag, von dem sie sich innerlich längst getrennt hat. Da "Alix, Anton und die anderen" zudem der erste Teil eines Zyklus sein soll - der künftig im S. Fischer Verlag erscheint -, zwingt Suhrkamp die Autorin dazu, den Zusammenhang dieses mehrbändigen Projekts zwischen den beiden Verlagen zu zerreißen.

Auch dies ein Grund dafür, weshalb man Joachim Unseld, der inzwischen die Frankfurter Verlagsanstalt führt, dazu gratulieren sollte, dass er das Kapitel Suhrkamp nun abschließt.