Wie schön: Man ist zu Gast bei Fremden und wird behandelt wie ein Freund. Hamburger Privatleute holen sich Live-Musik ins Haus.

Hamburg. Der Engel an der Wohnzimmerwand war der Einzige, der sich an diesem Abend mit schmerzverzerrtem Gesicht die Ohren zuhielt. Er tut das aber Tag und Nacht, denn er ist gemalt und kann nicht anders. Alle anderen, die dicht an dicht auf Bänken, Sesseln und aus der Nachbarschaft zusammengeliehenen Stühlen beieinandersaßen, genossen die feinen Klänge, die im zweiten Wohnraum auf einer improvisierten Bühne fabriziert wurden. Da stand, vor dem Fenster zum Garten, die Sängerin Liv Solveig Wagner, und neben ihr saß der Gitarrist Sven Götz. Die beiden gaben ein wunderbar intimes, unprätentiöses Konzert zwischen skandinavischer Folklore und Jazz und erwiesen sich damit als ideale Interpreten jenes Festivals "Musik in den Häusern der Stadt", das von Donnerstag bis gestern Abend in Hamburg zum zweiten Male stattfand.

"Letztes Jahr schwärmten uns Freunde von diesem Festival vor, guckten sich bei uns um und sagten: ihr habt hier solche Räume, da muss man das machen! Da haben wir uns breitschlagen lassen." Mit diesen Worten begrüßte der Hausherr der Hochkamper Backsteinvilla aus dem Jahr 1905, der hier mit Frau und vier Kindern zu Hause ist, die Gäste des Abends. Gewiss waren auch Verwandte, ein paar Nachbarn und Freunde darunter; aber der besondere Reiz dieser Hausmusik-Reihe liegt darin, dass jeder willkommen ist, Musik in den Privaträumen von Bürgern seiner Stadt zu erleben. Einheitspreis für alle Konzerte: 18 Euro. Die Treppenstufen vor dem Haus sind festlich mit Kerzen erleuchtet, zwei der Kinder knipsen an der Haustür fachmännisch die Eintrittskarten, ein drittes eilt, ein Glas Sekt zu holen, während die Cousine gegen einen handgeschriebenen Garberobenschein den Mantel weghängt. Man ist zu Gast bei Fremden und fühlt sich behandelt wie ein Freund.

Auch ein Schmuckdesigner in Bahrenfeld öffnete am Freitag seinen Showroom für die "Musik in den Häusern der Stadt". Bei ihm marschierte gleich eine komplette Band auf, die Blues-'n'-Soul-Truppe Brixtonboogie. Die Stimmung war großartig, allerdings rückte der halb öffentliche Charakter des gewerblich genutzten Raums die Darbietung mehr in die Nähe eines Klub-Auftritts.

Das System dieses Festivals: Die Privatiers zahlen eine feste Spende an den veranstaltenden Verein, bekommen dafür ein Konzert, bewirten ihre Gäste nach Gusto mit Getränken, Knabbereien oder Fingerfood und dürfen die Einnahmen behalten. Firmen können auch mitmachen, deren Spende fällt dafür etwas höher aus. "Aber zu groß sollen die Räume nicht sein", sagt Maike Schäfer, die ehrenamtliche Hamburger Organisatorin des Festivals, das in Köln schon seit 13 Jahren veranstaltet wird. Vergangenes Jahr hat sie mit etwas mehr als zehn Konzerten angefangen, diesmal waren es schon 23. "Nächstes Jahr schaffe ich das wohl nicht mehr allein."

Kaum wieder zu Hause, prüften wir schon mal, welche Ecke bei uns sich wohl als Bühne eignen würde.