Die Filme sind brisant und voller Humor: Der amerikanische Dokumentarfilmer verrät, wie er sein Geld anlegt und mit Angst umgeht.

Hamburg. Man kennt ihn als unermüdlichen Robin Hood, der im Dienste der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des kleinen Mannes steht. Als Provokateur, als sarkastischer, selbstironischer Superman, als Popstar der amerikanischen Linken. Michael Moore ("Bowling for Columbine") ist einer der originellsten Dokumentarfilmer der Gegenwart. Und mit Sicherheit der gefürchtetste. Mit "Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte" holt der 55-Jährige jetzt zu seinem größten Schlag aus: Er bläst gleich zum Sturm auf das ganze System. Der Film zur Finanzkrise.

Abendblatt:Mr. Moore, was bedeutet Ihnen Geld?

Michael Moore: Mein Geld ermöglicht mir Freiheit. Ich kann das tun, was ich will. Ich muss mir nie Sorgen machen, ob ich mit einem Film ein Studio vergrätze und dort nie mehr drehen kann. Meine Filme und Bücher brachten mir ein gutes Polster ein. Bei uns in der Arbeiterschicht heißt das "Fuck you money". Denn es gibt einem die Möglichkeit zu sagen: "Fuck you! Ich mache, was ich will. Du kannst Dein Geld gegen mich nicht als Geißel verwenden."

Abendblatt: Wo haben Sie Ihr Geld liegen? Auf der Bank oder unterm Bett?

Moore : Auf einem Sparbuch. In Aktien habe ich nie angelegt, ich glaube einfach nicht daran. Ansonsten habe ich ein Haus gekauft und meinen Brüdern, Schwestern und Cousins aushelfen können.

Abendblatt: Ihr Film verdammt den Kapitalismus, plädiert klar für den Sozialismus. Ist es nicht legitim, in den Traum vom großen Geld verliebt zu sein?

Moore : Ich schlage weniger den Sozialismus vor, sondern Demokratie. Ich hoffe auf eine demokratische Wirtschaft, in der das Volk Mitspracherecht hat. Ich habe nichts dagegen, dass jemand Geschäfte macht, hart arbeitet und gutes Geld verdient. Nur: Das ist nicht der Kapitalismus dieser Tage! Der ermöglicht, dass ein Prozent der Weltbevölkerung über die gleiche Menge Geld verfügt wie die restlichen 99 Prozent zusammen. Das ist Wahnsinn.

Abendblatt: Sie beschränken sich nur auf US-Fälle wie Goldman Sachs. Warum geben Sie keine Beispiele aus anderen Ländern?

Moore:Sie brauchen mich nicht, damit ich in Ihr Land komme und Ihnen sage, was Sie längst wissen. Gerade weil dieser Film sich auf Amerika konzentriert, ist er für Sie interessant: Ich öffne ein Fenster, das Sie von CNN nicht bekommen. Sie erfahren Dinge über die USA, die Sie sonst nicht erfahren hätten. Und nach dem Kino können Sie nachdenken, ob die zunehmende Privatisierung auch bei Ihnen nicht so toll ausgehen könnte.

Abendblatt: Ist das eigentliche Problem nicht Gier?

Moore: Ja. Gier ist die große, dunkle Seite in jedem von uns. Aber Kapitalismus kontrolliert die Gier nicht, sondern vergrößert und fördert sie. Deswegen brauchen wir ein anderes System, das nicht darauf basiert.

Abendblatt: Ist Obama in Ihren Augen ein Sozialist ?

Moore: Ich finde schon. Er fordert, dass auch der Mittelklasse-Amerikaner etwas vom Wohlstand abbekommt. Was wurde er dafür angegriffen! Denn damit sprach er das wesentliche Gebot des Sozialismus aus: dass es eine gleichmäßige Verteilung des Geldes geben muss.

Abendblatt: Und, passiert es schon in den USA?

Moore : Dazu ist er noch nicht lange genug im Amt. Obama hat eine Katastrophe geerbt, von einem irren Präsidenten, der das Land beinahe zerstört hätte. Wie er das in zwölf Monaten oder auch zwölf Jahren reparieren soll, weiß ich nicht! Mich wundert's, dass er diesen Job überhaupt wollte.

Abendblatt: Obama könnte Sie in Zukunft arbeitslos machen, oder? Was bleibt für Sie noch zu monieren?

Moore :Nach der Ära der Verdummung herrscht jetzt ein Klima, das Kunst, Kultur und freies Denken unterstützt. Aber auch ein kluger Präsident braucht Leute, die den neuen Zeitgeist unterstützen, Schriftsteller, Filmemacher, Denker. Das wird eine tolle Zeit, ich werde aufblühen.

Abendblatt:Früher marschierten Sie einfach in eine Firma rein und stellten Leute zur Rede. Wenn Sie heute auftauchen, rufen die Manager die Security. Leidet Ihre Art der Recherche unter Ihrem Ruhm?

Moore : Ja, heute hat man Angst, mit mir zu reden. Vor lauter Angst versuchen einige Firmen, mir etwas anzuhängen. Man denunziert mich, erzählt Lügen. Im Sommer gestand ein zurückgetretener Vize einer Krankenkasse, dass sich mehrere Kassen zusammengetan hatten, um mir etwas anzukreiden.

Abendblatt: Wie halten Sie den Druck aus? Haben Sie einen "Partner in crime", einen Verbündeten?

Moore: Ja, meine Freunde und die Familie. Und natürlich meine Frau Kathleen. Besonders wichtig für mich ist aber auch Anne, meine Schwester, sie produziert meine Filme.

Abendblatt: Wurden Sie schon mal konkret bedroht? Oder hatten Angst? Gab es mal böse Mails oder ...

Moore: Ich wünschte, es wäre nur das! Ich möchte meine persönlichen Opfer nicht öffentlich benennen. Aber der Preis ist hoch. Ich frage mich oft, ob ich all das noch einmal machen würde. Vor allem wegen der Dinge, die meine Familie durchmachen muss.

Abendblatt: Wie weit geht die Gefahr für Sie konkret?

Moore : Vor dieser Tür steht ein Mann vom Sicherheitsservice. Warum? Ich mache doch nur Filme! Und lebe in einem freien Land! Warum müsste ich mir je Sorgen um meine Sicherheit machen?

Abendblatt: Könnten Sie sich nicht mit Ihren ureigenen Waffen wehren: entlarvenden Filmen und Humor?

Moore: Vielleicht werde ich eines Tages auspacken. Vielleicht werde ich sogar ein Buch darüber schreiben.

Abendblatt: Was ist Beweggrund für Ihr Tun: Zorn? Mitgefühl?

Moore: Ich hoffe, es ist Mitgefühl. Meinen Zorn kann ich nicht kontrollieren, sondern höchstens versuchen, ihn durch Humor in Schach zu halten. Die meisten großen Komiker waren zornige Menschen wie Charlie Chaplin oder Groucho Marx. Humor ist eine sehr effektive und mächtige Waffe im Kampf gegen Ungerechtigkeit.

Abendblatt: Waren Sie schon mal versucht, statt brisanter Dokus nur noch leichte Kost zu drehen?

Moore : O ja. Wenn die Menschen nach diesem Film nichts unternehmen, dann werde ich irgendein Drehbuch aus meiner Schublade holen, harmlose Fiktion drehen und mir ab sofort ein schönes Leben machen. Aber ich hoffe, dass die Menschen aufwachen und ihre Rolle als Bürger einer Demokratie wahrnehmen. Dann kämpfe ich gerne weiter mit.

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