Hamburg. Auch klassische Konzerte haben schon mal Überlänge. Dass man sich nach zweieinhalb Stunden Stillsitzens erfrischt aus dem Plüschsessel erhebt, ist da eher die Ausnahme, kommt aber vor - wie gerade beim NDR Sinfonieorchester in der Laeiszhalle. Das Programm war ungewöhnlich genug: Gleich drei junge Solisten, alle Stipendiaten der Deutschen Stiftung Musikleben, gaben ihr Debüt.

Die einzige Sinfonie stand am Anfang, und sie hatte es in sich: John Axelrod dirigierte Sergej Prokofjews gefürchtet durchsichtige "Symphonie Classique" als glitzernde Ouvertüre: mal beschwingt, mal frech gestaut und stets blitzsauber.

Der georgische Cellist Giorgi Kharadze eröffnete den Reigen der Solokonzerte mit Dmitri Schostakowitschs erstem Cellokonzert. Kharadzes Familie ist 1993 nach Frankreich emigriert. "Schostakowitsch hat in einem repressiven System gelebt. Ich weiß, wie sich das anfühlt", sagt Kharadze. "Der Interpret muss diese Erfahrungen in der Musik hörbar machen."

Zwischen unerbittlicher Achtelmotorik, schimmernden Flageoletttönen mit Celesta und Hohngelächter der Bläser spannte Kharadze sein Panorama an Klangfarben und Stimmungen auf, bis in jede Nuance hörbar beteiligt. Gegen Ende hätte man sich einen lautmalerischen, ja einen roheren Zugriff vorstellen können, da wirkte sein Spiel arg defensiv.

Dagegen sprühte der russische Pianist Igor Levit beim ersten Klavierkonzert von Prokofjew vor Energie. Er ließ die vielstimmigen Läufe perlen, mischte sich in die gleißenden Klangfarben des Orchesters und meißelte seine Einwürfe, unterstützt von einer mustergültig klaren Orchesterbegleitung.

Den Russen Prokofjew liebt Levit besonders: "Aber wenn ich mir ein Werk erarbeite, ist die Nationalität des Komponisten unwichtig." Als er acht Jahre alt war, zog seine Familie nach Hannover. Seinen russisch-jüdischen Hintergrund mit seinem deutschen Umfeld zu vereinbaren, findet er kein Problem: "Mental bin ich hier geboren!"

Die Geigerin Suyoen Kim wiederum, geboren und aufgewachsen in Münster als Kind koreanischer Eltern, beschreibt ihre doppelte kulturelle Zugehörigkeit als Konflikt: "Er wird mir bewusst, je häufiger ich in Korea bin. Dort fühle ich mich zwar wie in meinem eigenen Land, aber die Strukturen sind so fremd."

Kim brachte das Kunststück fertig, dem Publikum Mendelssohns omnipräsentes e-Moll-Violinkonzert zu vermitteln, als hörte man es zum ersten Mal: mit sprühender Virtuosität, Witz und einem anrührenden Gespür für Zeit. Leider ging ihr feiner, freier Geigenton manchmal im Tutti unter. Im Übrigen aber begleiteten Axelrod und die Musiker äußerst beredt und schmuggelten auch noch einige Kobolde aus dem "Sommernachtstraum" ein. Tausendmal gehört, das Stück - aber so noch nie.