Nach drei Jahren Pause und erster Karrieredelle kehrt der einstige Superstar zurück. Seine neuen Songs machen es allen recht.

Hamburg. Der weltbekannte Künstler hat keinen Führerschein, tatsächlich, das wissen wir längst. Denn wir wissen alles über Robbie Williams, den Sänger, Entertainer, Frauenschwarm, Kettenraucher, Seelenexhibitionisten. Auf dem Cover seines neuen Albums, einer Art Comeback nach drei Jahren Schaffenspause, posiert der Superstar auf seinem Motorrad, und im Videoclip zur Narzissmus-Hymne "Bodies" ("All we ever wanted / is to look good naked") heizt er mit dem Geschoss durch die Prärie. Williams macht eben das, worauf er Lust hat. Er braucht keine rechtliche Grundlage dafür und keinen Plan.

Einerseits funktioniert sein achtes Album "Reality killed the Videostar", das heute erscheint, genauso - nach dem Lustprinzip. Es ist ein Album, das kein richtiges Album ist, sondern eine launige Ansammlung kleinerer und größerer Robbie-Williams-Momente. Jeder Song ein anderer Robbie, eine andere Pop-Ausprägung. Williams hat zuletzt mit vielen Ko-Songwritern gearbeitet. Das kann man Freiheit nennen, wenn man sich verschiedener Song-Zugänge bedient. Aber natürlich ist "Reality killed the Video Star" andererseits kein gesetzloses Werk geworden, ganz im Gegenteil: Die artistische Spreizung der Form, der Stilmix, folgt klaren Vorgaben. Robbie Williams anno 2009, das ist ein Best-of seines bisherigen Tuns.

Mit 35 Jahren ist der Engländer aus Stoke-on-Trent schon ein vielfach aufgestiegener und gefallener Engel: mit frühem Leid und spätem. Dazwischen war er der größte Star auf dem Planeten (auch ohne US-Erfolg). Mit dem letzten, eigentlich doch sehr guten Tanz-Album "Rudebox" stürzte Williams ab. Der Beherrscher der Klatschspalten hatte den Bogen überspannt und war dann erst mal raus. Nach der obligaten Entziehungskur des Sängers selbst gingen auch Fans und die zwangsweise (un-)interessierte Öffentlichkeit, der der omnipräsente Williams an jeder Ecke begegnete, auf Entzug. Der Popstar gammelte im kalifornischen Exil auf dem Sofa herum, palaverte über seine Ufo-Sichtung in der Wüste und rauchte täglich 60 Zigaretten der Marke Silk Cut. Vermissten wir ihn? Durchaus.

Sein Witz, sein Charme, seine Selbstironie machten ihn zu einem unterhaltsamen Gesellschaftsclown, dessen Musik in mancherlei Hinsicht zur Nebensache wurde. Aber nie vollständig. Denn Williams, der 2003 an drei aufeinanderfolgenden Abenden vor insgesamt 400 000 Zuschauern in Knebworth auftrat, wurde ja auch zum Volksbarden, der mit blitzsauberem Pop ("Sing when you're winning", "Escapology") und traditionssicherem Swing Waggonladungen von Platten verkaufte. Damit wurde er vor der Karrieredelle zum wohl meistgespielten Musiker im Radio, der Teenie-Tochter und Mama gleichzeitig bestrickte. "No Singles, just fillers", singt Robbie im neuen Stück "Blasphemy", aber das ist Koketterie. Im popmusikalischen Gemischtwarenladen, den "Reality killed the Video Star" darstellt, soll im Prinzip jedes Stück singlefähig sein. Und Williams erscheint uns mehr denn je als Gemischtwarenhändler, der den Ehrgeiz hat, mit großer Auswahl jeden anzusprechen.

Die erste Auskopplung "Bodies" verbindet den Dancefloor mit gregorianischen Chören. Ein Coup, ein makelloses Stück Pop und im Sinne der Mischung. Denn die CD ist ein sorgsam austariertes Werk - mit Balladen und Songs im Midtempo. Wobei die getragenen Stücke die stärkeren sind. "Morning Sun" ist eine Reminiszenz an Billy Joel und Elton John, "Blasphemy" (noch zu "Escapology"-Zeiten von Guy Chambers geschrieben) großes Drama mit Bekenntnislyrik, das düstere "Deceptacon" vielleicht das beste Stück der Platte. Auch hübsch: die Pet-Shop-Boys-Pastiche "Last Days of Disco", die Celebrity-Selbstreferenz "Starstruck". "You know me" klingt schwer nach den 50ern, "Do you mind" sehr rockig. Produziert wurde "Reality killed the Video Star" von Trevor Horn, einem verlässlichen Hit-Produzenten seit drei Jahrzehnten. Es ist ein kurzweiliges Album geworden; sehr wahrscheinlich, dass Williams damit wieder größeren Erfolg hat als mit dem Vorgänger. Sein Urheber ließ unlängst verlauten, dass die nächsten Monate über den Rest seines Lebens entschieden. Klingt dramatisch, ist aber wohl nur typisch für unseren liebsten Neurotiker. Was würde Williams leiden, wenn er irgendwann einmal keine Aufmerksamkeit mehr bekäme. Für den Augenblick ist sie ihm mit "Reality killed the Video Star" sicher.