Osama Bin Ladens erste Frau und einer seiner Söhne haben ein Buch über den meistgesuchten Terroristen geschrieben – eine Abrechnung.

Berlin. Er ließ seine Familie ohne Heizung aufwachsen und bei Wüstenmärschen fast verdursten, damit sie für einen Krieg abgehärtet würde. Jetzt haben Osama Bin Ladens erste Frau und einer seiner Söhne ein Buch über ihn geschrieben - eine private Abrechnung mit dem meistgesuchten Terroristen der Welt. Die Söhne durften keine Witze erzählen. Keine Freude zeigen. Lächeln, aber nicht lachen. Zumindest nicht so, dass man die Eckzähne sehen konnte. Es herrschte ein sittenstrenges Regiment im Haus des Osama Bin Laden. Elektrisches Licht war erlaubt, aber kein Kühlschrank, keine Heizung, keine Klimaanlage, vom Fernseher ganz zu schweigen. Bin Ladens Frauen, insgesamt sechs, bereiteten das Essen für die Familie, darunter ein gutes Dutzend Kinder, auf einem Gaskocher zu, wie man ihn beim Campingurlaub nutzt.

Osama Bin Laden, der berüchtigte Al-Qaida-Führer, hat mit dem Terrorschlag gegen die USA am 11. September 2001 ein düsteres Kapitel der Weltgeschichte eröffnet.

Osama Bin Laden, den Privatmann, stellen jetzt zwei seiner engsten Angehörigen vor. Najwa Bin Laden, seine erste Frau, und Omar Bin Laden, der viertälteste Sohn, beschreiben in einem beeindruckenden Buch "Growing Up Bin Laden" über den Ehemann und Vater. "Als der Sohn von Osama Bin Laden bin ich wirklich traurig über die schrecklichen Dinge, die passiert sind, die unschuldigen Leben, die zerstört wurden, die Trauer, die in vielen Herzen fortdauert", formuliert Omar Bin Laden, geboren im März 1981. Seine Mutter, die Osama Bin Laden insgesamt sieben Söhne und vier Töchter gebar, ist vorsichtiger in ihrer Distanzierung vom einst geliebten Mann.

Sie verließ ihn Anfang September 2001 und wäre möglicherweise zu ihm nach Afghanistan zurückgekehrt, hätte es wenige Tage danach nicht den verheerenden Angriff der Al-Qaida-Terroristen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon gegeben. Schon ihre ersten Worte im Buch machen die Zerrissenheit von Najwa Bin Laden deutlich: "Ich war nicht immer die Frau von Osama Bin Laden. Einst war ich ein unschuldiges Kind und träumte Kleine-Mädchen-Träume." Wenn sie könnte, so schreibt die heute 51-Jährige weiter, "würde ich zurückkehren zum ersten Teil meines Lebens und für immer ein kleines Mädchen bleiben".

Najwa erlebte einen Osama, der nicht in jedem Detail unseren Erwartungen entspricht. Die gebürtige Syrerin hatte als Teenager gegen die konservativen Kleidungsvorschriften ihrer Mutter rebelliert, begeistert Tennis gespielt und Porträts und Landschaften gemalt. In ihren Vetter Osama verliebte sie sich aufgrund seiner Ernsthaftigkeit und seines guten Benehmens. Der Sohn aus einer der reichsten Familien Saudi-Arabiens blieb ihr gegenüber aber zunächst ausgesprochen zurückhaltend. Er sei "schüchterner als eine Jungfrau unter dem Schleier", ärgerte sich Najwa. Dann arrangierten die Eltern die Ehe des damals 17-Jährigen mit der 15-Jährigen. Gefeiert wurde auf Anweisung Osamas ohne Musik und ohne Tanz.

Osama schlug Najwa nach ihrer Darstellung nie und er wurde ihr gegenüber nicht einmal laut. Aber er war, arabischen wie islamischen Traditionen entsprechend, nicht nur der Gebieter über seine Frau, sondern ihm stand auch das Recht zu, weitere Ehen einzugehen. Najwa begreift es gleichwohl bis heute als große Respektbezeugung ihres Mannes, dass er erst eine weitere Frau heiratete, nachdem sie als seine erste Frau sich damit einverstanden erklärte. Das fiel ihr leichter, als sie erkannte, dass ihr Mann nicht der Jugend oder der Erotik einer anderen erlegen war. Osama wollte schlicht dem Propheten Mohammed folgen. Darum nahm er sich im Laufe der Jahre und mit Einverständnis Najwas vier Frauen, ganz so wie es Mohammed getan hatte, und freute sich, dass er wie sein Vorbild zunächst viele Söhne bekam. Die erste Tochter nannte er, ebenfalls Mohammed folgend, Fatima. Später kamen, nachdem sich zwei der Frauen von ihm getrennt hatten, eine fünfte und sechste Ehe hinzu.

Tragisch wurde der Fanatismus, mit dem Osama das Leben des Propheten zu imitieren versuchte, als er seinen asthmakranken Söhnen, darunter Omar, den Gebrauch von Inhalatoren verbot. Mohammed sei schließlich auch ohne derartige Dinge ausgekommen. Aus dieser Geisteshaltung wurde Osama zum Verächter technologischer Errungenschaften und zum Feind von Spielzeug im Kinderzimmer. Für sich persönlich allerdings machte Osama Ausnahmen. Er habe trotz seiner Schimpftiraden über die "Übel der modernen Welt" selbst immer "die neuesten Automobile gefahren", erinnert sich Omar.

Weil insbesondere die Söhne "hart und ausdauernd" werden sollten, wurden sie nicht nur wegen entsprechender Vergehen oft gezüchtigt und geprügelt. Zudem zwang Osama Bin Laden sie unter sengender Sohne zu Gewaltmärschen durch die saudische Wüste. Wasser durfte erst getrunken werden, wenn es zum lebensgefährdenden Kollaps kam. Auch die Frauen und Töchter ließ Osama einmal in der nachts kalten Wüste ohne Feuer und wärmende Decken schlafen. Seine Begründung: Wenn der ungläubige Westen eines Tages die muslimische Welt angreife, müsse seine Familie gerüstet sein zur Kriegsführung in der unwirtlichen Natur. "Mein Leben war erträglicher, wenn mein Vater weit, weit entfernt war", resümierte der junge Omar im Frühjahr 1989 in Übereinstimmung mit seinen älteren Brüdern. Da hatten Osama und seine Mudschaheddin mit dem Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan soeben einen wichtigen Sieg erzielt.

Ursprünglich, so erzählt es Najwa, begegnete Osama den Vereinigten Staaten von Amerika leidenschaftslos. 1979 besuchte das Ehepaar mit den zwei erstgeborenen Söhnen die USA, um im Bundesstaat Indiana Abdullah Azzam zu treffen, einen Mentor und Lehrer Osamas, der zehn Jahre später durch eine Bombenexplosion im pakistanischen Peschawar sterben sollte. Die Menschen begegneten ihr "freundlich und nett", so Najwa, und auch wenn am Flughafen ein respektloser Amerikaner sie wegen ihrer Abaya, die den ganzen Körper verbergende muslimische Tracht, anstarrte und fotografierte, hätten sie und ihr Mann die USA "nicht gehasst, aber auch nicht geliebt".

Später entwickelte Osama einen obsessionellen Antiamerikanismus. 1990 marschierte der Irak in Kuwait ein, und US-Truppen wurden zum Schutz in das verbündete saudische Königreich verlegt. Als Osama in seinem Heimatland weibliche amerikanische Soldaten sah, schäumte er in Anwesenheit seines Sohnes: "Frauen! Zum Schutz saudischer Männer!" Der Held des afghanischen Freiheitskampfes hatte zuvor der befreundeten Königsfamilie angebotenen, mit seinen Mudschaheddin für den Schutz des Landes zu sorgen. Dass stattdessen die Hilfe der USA angenommen wurde, ließ Osama öffentlich und in Moscheen gegen das Herrscherhaus agitieren. Saudi-Arabien werde zur Kolonie der USA. Diese Attacken Osamas führten schließlich zu seiner Ausweisung. Aus dem sudanesischen Khartum setzte er seinen eifernden Dschihad "gegen die Ungläubigen" fort. Einer seiner Gefolgsleute etwa tötete einmal einen kleinen Affen, den Osamas Kinder als Spielgefährten aufgezogen hatten. Die Begründung des Mudschaheddin aus Afghanistan: Bei dem Affen handele es sich in Wirklichkeit um einen Juden, den Allah in das Tier verwandelt habe, und das Töten von Juden sei richtig. Omar musste, nach dem ersten Entsetzen über den Tod des geliebten Haustieres, feststellen, dass der Vater persönlich die absurde Juden-Affen-Theorie seinen Anhängern vermittelt hatte.

Zu dieser Zeit hatte Osama, der Sohn eines reichen saudischen Bauunternehmers, bereits sein Terrornetzwerk al-Qaida begründet und wurde inzwischen auch der Regierung des Sudan unangenehm. Khartum bot den USA seine Auslieferung an, erinnert die amerikanische Publizistin Jean Sasson, die mit Omar und Najwa Bin Laden zusammen das Buch geschrieben hat. Aber weil es dort keinen Haftbefehl gegen ihn gab, konnte Osama Bin Laden nach Afghanistan ausreisen. Er zog mit seiner Großfamilie zunächst in die Unwirtlichkeit der Felsenfestung von Tora Bora. Dort gab es weder Strom noch fließendes Wasser, und spätestens hier reifte in Omar der Schluss, sich vom Vater und vom ewigen Krieg abzusetzen. "Mein Vater hasste seine Feinde mehr, als er seine Söhne liebte", schreibt der junge Mann. Osama versuchte in Dschalalabad, der nächsten Station nach Tora Bora, seine Söhne, auch die kleinsten, für die Idee zu gewinnen, sich in der Moschee als Selbstmordattentäter rekrutieren zu lassen.

Im April 2001 kehrte Omar Bin Laden seinem Vater endgültig den Rücken und reiste aus Afghanistan aus. Kurz vor dem Terrorschlag vom 11. September konnte er auch seine Mutter überreden, Osama Bin Laden zu verlassen. Mit ihren drei kleinsten Kindern durfte sie zurück nach Syrien gehen. Unter anderem einen fünfjährigen Sohn und eine neunjährige Tochter musste sie auf Geheiß ihres Mannes, der inzwischen seine sechste Frau geheiratet hatte, in Dschalalabad zurücklassen. Ihr ungeklärtes Schicksal beschäftigt Mutter und Bruder bis heute.

Sohn und Ehefrau haben nach dem September 2001 nach eigenen Angaben von Osama Bin Laden kein Lebenszeichen mehr erhalten. "Ich bin völlig anders als mein Vater", schreibt Omar. "Während er Krieg predigt, bete ich für Frieden."