Die britische Band absolvierte einen gut 90 Minuten dauernden Parforceritt durch eine wuchtige Kathedrale aus Rockmusik.

Hamburg. "Ich bring dir heut ein Ständchen, wie es noch keines gab - mit Pauken und Trompeten! Und Tschinderassassa! Und Tschinderassassa!", sang die Fußball-Nationalmannschaft 1974 für die LP "Fußball ist unser Leben". Ein grauenhaftes Stück Musikgeschichte. Warum ausgerechnet dieses Ständchen nach dem Muse-Konzert am Mittwoch als Ohrwurm im Kopf des Autors dieser Zeilen herumgeisterte, weiß der Himmel. Teufel. Wer auch immer. Wahrscheinlich lag es einfach an dem bombastischen Effektzauber, den Muse-Sänger und -Gitarrist Matthew Bellamy, Schlagzeuger Dominic Howard und Bassist Christopher Wolstenholme sowie Tour-Keyboarder Alessandro Cortini in der Color-Line-Arena entfesselten.

Schon die Bühne hätte selbst Rammstein (kommen im Dezember in die CoLinA) ein respektvolles Heben der Augenbrauen entlockt. Drei 20 Meter hohe, versenk- und schwenkbare LED-Säulen dominierten das Bühnenbild. Mittendrin in den Pylonen waren Käfige, in denen die Musiker den Blick von oben auf den Mob in den ersten Reihen genießen durften. Dazu: ganze Laser- und Scheinwerferbatterien, Nebelwerfer, Pauken, Trompeten, Tschinderassassa!

Was war das jetzt? U2? Pink Floyd? Queen? Oder Elton Johns Las-Vegas-Show? Wer die Augen schloss, um sich nicht von dem ganzen Brimborium ablenken zu lassen, erkannte Muse sofort dank "Uprising", "Resistance" oder "New Born". Progressiver Rock mit im besten Falle einnehmender, epischer Grundstimmung, im seltenen schlechtesten Falle mit sphärischen Arrangements für die Lavalampen-Abteilung bei Karstadt. Der Anspruch: Stadion. Die Wirklichkeit? Arena - mit der Einschränkung, dass Muse in der Londoner Heimat bereits 2007 das neue Wembley-Stadium ausverkaufte. Wie ein "Supermassive Black Hole" saugte die Band damals über 70 000 Zuschauer ins weite Rund. In Hamburg waren am Mittwoch immerhin, wie bereits 2006 in der Sporthalle, 7000 Fans dabei, was der pompösen Größe des Konzerts keinen Abbruch tat. Der Innenraum tobte, der Unterrang rieb sich die Augen im Laserfeuer, das jeden "Star Wars"-Film zur Ehre gereicht hätte. Mehr ist mehr.

"Cave", "Plug In Baby", "Undisclosed Desires" - die Band klang als Trio mit Keyboarder wie eine Mini-Rockoper. Matthew Bellamy sprach nicht viel, sang aber Falsett und Vibrato in CD-Qualität, bog die Saiten seiner Gitarre für apokalyptisches Grollen, seichten Singsang, grob geschliffene Riffs. Zwischendurch saß er am Flügel, der auch nicht von der Bastelleidenschaft der Crew verschont wurde und mit eingebauten Scheinwerfern im Glasdeckel die Grenze zum Kitsch überschritt. "Wie Freddie Mercury am Flügel von Udo Jürgens", bemerkte der Nebenmann. Luftballons stiegen auf, die Keyboardteppiche vom aktuellen fünften Album "The Resistance" wurden in der Klang-Kathedrale ausgerollt. Die bereits 1994 in der Kleinstadt Teignmouth, Devon, gegründete Band sonnte sich im eigenen Glanz, in der eigenen kunstmusealen Ästhetik. Dann machte sie sich nach 90 Minuten bereit, die Kathedrale mitsamt Arena einzureißen.

Und welcher Song wäre dafür besser geeignet gewesen als "Knights Of Cydonia", der finale Song des 2006er-Albums "Black Holes and Revelations". Nach einer Einleitung mit Ennio Morricones "The Man With The Harmonica" ging es auf den von Bass und Schlagzeug angetriebenen Parforceritt eines Country-Metal-Bastards, der mit einem minutenlangen Gitarren-Outro den würdigen Abschluss markierte. Abgang. Draußen im Umlauf stolperten zwei Groupies in viel zu hohen Schuhen vorbei. Die Welt hatte uns wieder.

Nachtrag: Die NDR2-Sendereihe "Radiokonzert" (jeden Montag um 21 Uhr) überträgt am 2. November eine Aufzeichnung des Muse-Konzerts vom 7. September im Berliner Admiralspalast.