In seinem aktuellen Kriminalroman “Das Fest der Fliegen“ entlarvt Gert Heidenreich die Machtstrukturen einer christlichen Sekte.

Hamburg. Es herrscht zumeist abgrundtiefe Skepsis bei sogenannten Krimiexperten, wenn ein bislang als Romancier hervorgetretener Autor sich im Genre des Kriminalromans versucht. Warum macht dieser Autor das, denkt er gar, es sei leichter, gute Kriminalromane zu schreiben als gewöhnliche Belletristik?

Das war bei Gert Heidenreichs Krimidebüt "Im Dunkel der Zeit" nicht anders. Schließlich hatte Heidenreich, von 1991 bis 1995 Präsident des deutschen P.E.N., bis dato Non-Crime-Literatur geschrieben, Theaterstücke, Essays und Lyrikbände zudem. Doch bereits bei Heidenreichs Debüt war Skepsis nicht angebracht: Der Roman wusste zu überzeugen, sprachlich ohne Frage, aber auch von Komposition und Dramaturgie her, und, das vor allem, er war spannend.

Heidenreichs aktueller Kriminalroman "Das Fest der Fliegen" (Verlag Langen-Müller) führt weiter, was das Debüt versprach. Kulminierte die Handlung in "Im Dunkel der Zeit" in der deutschen NS-Vergangenheit, so bleibt Heidenreich diesmal heutig - und bedient sich eines populären Themas, des religiösen Fundamentalismus. Wenngleich nicht in der muslimischen Spielart, sondern der vermeintlich christlichen. Heidenreich führt sie in Gestalt der "Legio Angelorum", der Engelslegion, ein, als eine Art moderner Inquisition. Wer öffentlich gegen den Namen der Jungfrau Maria sündigt, so das Diktum dieser radikalisierten Bruderschaft, ist des Todes.

In der Turmkuppel der berühmten Camera Obscura im schottischen Edinburgh muss der pensionierte Kriminalkommissar Swoboda mit ansehen, wie unten auf der Straße ein Mann ermordet wird - von einem Spiegel wird die Tat auf den weißen Tisch in der Kuppel projiziert. Eine durchaus originelle Methode der Tatbeobachtung, die Heidenreich sich da ausgedacht hat. Und die für Swoboda der Auftakt ist zu einer Serie anfangs unerklärlicher Mordfälle. Die Opfer sind alle auf dieselbe Art gerichtet: Ihnen wurde ein Serum in den Hals injiziert, ein kurzer Stich genügte, um die Reise ins Jenseits anzutreten. Im Diesseits halten die Toten einen Rosenkranz in der Hand, was den nicht eben selten melancholisch gestimmten Swoboda schließlich auf die richtige Spur führt. Dabei ahnt er nicht, dass die Bedrohung wesentlich näher kommt, als ihm lieb sein kann. Denn die sich von den Ermittlungen bedrängt fühlende Bruderschaft hat Swobodas Freundin Martina ins Visier genommen. Für Swoboda beginnt der klassische Wettlauf gegen die Zeit.

Heidenreich bedient sich in seinem Roman geschickt eines gemeinhin verkaufsfördernden Trends - und kehrt ihn um: Er platziert die fanatischen selbst ernannten Heilsbringer, deren literarische Heimat meist der historische Kriminalroman ist, einfach ins Hier und Jetzt. Und es funktioniert: "Das Fest der Fliegen" ist ein spannender Kriminalroman, der zudem viel erzählt über die innere Machtstruktur von Sekten - und über die sozialen Schlagseiten unserer Gesellschaft. Was schon immer die Stärke eines guten Kriminalromans war.

Hamburger Krimifestival 1. bis 8.11., Gert Heidenreich liest, 7.11., 20.00, Kulturgut Gaußstraße, Eintritt 10 Euro. Karten gibt es bei Heymann (T. 48 09 30), in den HA-Ticketshops und unter der HA-Ticket-Hotline T. 30 30 98 98; Internet: www.krimifestival-hamburg.de