Am Ende konnte Ulrich Matthes nicht widerstehen. Fast schon abgeflaut war der zuvor durchaus heftige Schlussapplaus, als der Schauspieler noch einmal auf die Bühne des St.-Pauli-Theaters stürmte und das Klatschen vergnügt anstachelte, während seine Kolleginnen Constanze Becker und Almut Zilcher erst verlegen lächelten und dann ihrerseits dem Publikum applaudierten.

Hamburg. Eine Szene, die das gestern zu Ende gegangene Hamburger Theaterfestival im Rückblick eigentlich recht gut zusammenfasst: Das Publikum feierte fantastische Schauspieler und konnte sich in Teilen durchaus auch selbst ein wenig feiern lassen. Immerhin war dieses Festival - das ja genau genommen bislang noch ein Gastspielreigen ohne weiteren dramaturgischen Überbau ist - ein rein privat finanziertes Vergnügen. Ein Publikumserfolg also praktisch in doppelter Hinsicht. Mit Bürgermeister-Segen, mit einer Auslastung von nahezu 100 Prozent, aber ohne staatliche Zuschüsse.

"Ritter, Dene, Voss", eine Inszenierung des Deutschen Theaters Berlin mit Becker, Zilcher, Matthes, setzte der fünfteiligen Reihe nun einen klaren Schlusspunkt. Einst hatte Thomas Bernhard mit seiner Farce über das Leben und die Kunst - im Original mit Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss - drei großen Schauspielstars ein Denkmal gesetzt. Ganz ähnlich - wenn auch komplett unironisch - huldigte auch das neue Theaterfestival den großen Namen. Wobei ausgerechnet der wohl größte unter ihnen, Klaus Maria Brandauer, der als Zugpferd die Festivalplakate zierte, seit seinem Auftritt am Sonntag auch die größte Kontroverse auslöste. Auch Brandauer hatte als erfahrene Rampensau durch rhythmisches Stampfen noch einmal alles aus dem Schlussapplaus herausgeholt. Die Reaktionen im Foyer reichten jedoch vom schwärmerischen "Fabelhaft!" bis zum saftigen - wörtlich so auch in ein Radiomikrofon gesprochenen - "Zum Kotzen!".

Nun sind ja Gastspielinszenierungen ästhetische Fortbildungen, der Reiz besteht immer auch im Vergleich mit gewohnten Seherfahrungen. Und zu wessen Gunsten dieser Vergleich ausfällt, hat meist mit diesen Seherfahrungen zu tun. Auch daran muss man denken, wenn es in "Ritter, Dene, Voss" sinngemäß heißt: "Seit 30 Jahren streichen wir dasselbe auf dasselbe Brot." Peter Stein liegt eben nicht (mehr) jedem.

Zugleich zeigt der Blick auf das auffallend homogene Publikum, dass es in Hamburg offenbar ein Bedürfnis gibt nach einem Programm wie diesem. Und nach Besetzungen wie diesen: allein in "Ritter, Dene, Voss" gleich zwei "Schauspieler des Jahres" 2008.

Überhaupt, die Schauspieler. Auch in Bernhards inzestuösem Um-sich-selbst-Kreisen dreier Geschwister waren sie das eigentliche Erlebnis. Die Schwestern Gelegenheitsschauspielerinnen, der Bruder heimgekehrt aus der Irrenanstalt - ein Familientreffen der Neurosen. Wunderbar, wie Matthes das Wort "Theatermacherinnen!" mit solchem Abscheu ausspricht, als sei es die ultimative Beleidigung. Regisseur Oliver Reese belässt es in seiner kühlen Berliner Version des eigentlich sehr österreichischen Stückes bei einem weißen Tisch auf weißer Spielfläche, statt Braten und Frittaten zerteilen die Geschwister eine obszön saftige Wassermelone. Dabei suhlen sie sich in Ennui und Egozentrik und leisten sogar ihren Beitrag zur aktuellen Kulturspardebatte: "Mäzenatentum, widerlich!", ätzt Matthes. Das ist an diesem Ort besonders lustig. Hamburgs Mäzene scheinen trotzdem bester Laune zu sein. Initiator Nikolaus Besch jedenfalls kündigte schon eine Festivalfortsetzung für das nächste Jahr an. Privat finanziert. "Zunächst." Man werde, sagt Besch, darüber reden müssen.