Was Macht aus einem Menschen macht, zeigt der Schauspieler heute in einem ZDF-Film über den bekannten Politiker aus der Pfalz.

Hamburg. Sobald Thomas Thieme im Raum ist, ist kein Platz mehr für andere; da kann der Raum noch so groß sein. Er war "Dirty Rich Modderfocker" in Luk Percevals Shakespeare-Marathon "Schlachten!" am Schauspielhaus, war Percevals rasender "Othello" und hat auch in Percevals "Molière" bei den Salzburger Festspielen sein Innerstes nach außen gespielt. Heute (20.15 Uhr, ZDF) ist Thieme in einem Polit-Kammerspiel zu bestaunen, als später Helmut Kohl in "Der Mann aus der Pfalz".

Hamburger Abendblatt: Wie spielt man Helmut Kohl? Besonders vorsichtig, besonders rabiat?

Thomas Thieme: Ich habe mich entschlossen, ihn eigentlich nicht zu spielen, zumindest nicht hinterherzuforschen, wie er sich bewegt hat. Ich habe versucht herauszufinden, was in einem Menschen vorgeht, der auf mich so eine merkwürdige Wirkung hat.

Abendblatt: Und? Haben Sie's rausbekommen?

Thieme: Alles, was ich herausgefunden habe, ist zu sehen. Mehr war nicht herauszukriegen.

Abendblatt: Aber wie schwer ist es für einen Intensiv-Theaterschauspieler wie Sie, der im Salzburger "Molière" viereinhalb Stunden Vollgas gab, so wenig zu spielen?

Thieme: Das war meine letzte Theater-Rolle, seit Sommer 2007 habe ich nur gedreht. Im Grunde genommen möchte ich im Moment das Minimalere mal ausprobieren. Dass ich das andere kann, hab ich oft bewiesen - die vollkommene Expression, auch die physische ...

Abendblatt: Dem Publikum frontal mit dem Hintern ins Gesicht ...

Thieme: ... was ja auch toll ist und wunderbar. Das müssen die Menschen auch haben. Sie nur mit Boulevardtexten zuzuschleimen, das muss das Theater nicht machen.

Abendblatt: Ist Kohl Ihnen durch diese Arbeit sympathischer geworden - oder nur interessanter?

Thieme: Das ist eine sehr gute Frage ... (Pause) Ich glaube, er ist interessanter geworden, definitiv. Sympathisch möchte ich verwandeln in: Ich verstehe ihn besser. Er ist wesentlich interessanter, als die allgemeine Darstellung war. Man sieht ihn ja auch permanent, sieht ihm beim Denken zu.

Abendblatt: Verstehen Sie die Droge Macht und die Droge Politik jetzt besser?

Thieme: Nee!

Abendblatt: Gott sei Dank?

Thieme: Was das betrifft, bin ich ganz ungefährdet. Ich habe zwar sehr große Eitelkeiten, aber die liegen in ganz anderen Bereichen.

Abendblatt: War es eine Voraussetzung für Sie, der Figur Helmut Kohl so fremd gewesen zu sein, weil man dann besser in den Charakter hineinkommt?

Thieme: Absolut. Das wollte ich nicht, bis in die Fußnägel in ihn hineinkriechen, wie das manche Kollegen bei ihrer Vorbereitung machen. Ich wollte nicht unbedingt eine Kopie von Kohl. Ich wollte Thieme als Kohl. Ich habe eine nicht autorisierte Biografie gelesen und mich so vorbereitet, wie man sich auf einen Schulaufsatz über Kohl vorbereitet.

Abendblatt: Wie einfach ist es, eine Person zu spielen, die einem so lange, wenn auch aus der Distanz, bekannt ist?

Thieme: Es ist eigentlich wie mit Shakespeare-Charakteren. Das einzige Problem ist: Den Menschen Kohl kennt jeder, den Menschen Othello kennt keiner. Jeder hat seinen Kohl.

Abendblatt: Ist Kohl eine große historische Figur oder eine große tragische Gestalt?

Thieme: Von einer großen tragischen Gestalt sehe ich im Moment nichts. Ich denke, er ist eine historische Gestalt. Er hat definitiv ein Lebenswerk, das respektiere ich. Und er hat, wenn man sich dagegen viele der heutigen Hully-Gully-Politiker ansieht, immer versucht, eine Haltung zu haben und sie nicht permanent zu ändern. Zwei Wesenszüge imponieren mir: seine Sturheit und seine seltsame Sensibilität. An der hat mir am meisten gelegen, an dieser Verletzlichkeit und Empfindlichkeit.

Abendblatt: Ist Kohl also immer mehr zum ungeliebten dicken Kind aus der Provinz geworden?

Thieme: Das ist kein so schlechtes Bild. Ich trete ihm nicht zu nahe, wenn ich sage, so wahnsinnig beliebt war er wohl nicht. Dieses Schokolade-Essen, was man ja im Film auch sieht, und dieses orale Prinzip, flaschenweise Wein, das hatte er ja schon als junger Mensch. Ich sehe in diesem Hedonismus auch eine Gebrochenheit. Das ist kein Falstaff, keiner, der nur reinstopft.

Abendblatt: Wenn Sie sich das Verkörpern einer großen Politiker-Gestalt aussuchen könnten, der Sie nicht so ähnlich sehen, wer würde Sie reizen?

Thieme: Ich glaube, Fidel Castro.

Abendblatt: Der frühe oder der späte?

Thieme: Der ganze.

Abendblatt: Haben Sie beim Drehen den Gedanken im Hinterkopf gehabt, dass Sie eigentlich Shakespeare spielen - nur eben ohne Schwerter?

Thieme: Ja, natürlich. Das ist moderner Shakespeare. Wenn Kohl keine moderne Shakespeare-Figur ist, wer denn sonst? Schon bei Merkel weiß ich nicht, ob die noch dafür taugen würde oder ob sie nicht eher bei Ibsen besser aufgehoben wäre, im problematischen Wohnzimmer. Diese Nummer mit Kohls Prostata auf dem Bremer Parteitag - zwei Stunden darf er da mit dem Katheter sitzen, siebzehn sitzt er da. Dann diese Zwerge Geißler, Späth und Blüm. Da sitzt Kohl und wartet, bis die alle gestorben sind. Dann steht er auf und geht nach Hause. Das ist Coriolan, der eine Rede hält! Das ist ,Begraben will ich Cäsar, nicht ihn preisen'! Kohl, Brandt, Adenauer, die haben noch für Shakespeare-Dramen getaugt.

Abendblatt: Und jetzt haben wir Ronald Pofalla.

Thieme: Da sind wir dann bei den Komödien.