Noch immer dominieren Rollenklischees, als hätte die Welt sich nicht weitergedreht. Sogar Werbefachleute schlagen die Hände über dem Kopf zusammen.

Hamburg. Sitzen drei Frauen im Zug. Nein, an dieser Stelle folgt leider kein Witz, sondern eine 30-sekündige Zumutung. Eine von vielen im deutschen Fernsehen.

Sitzen also drei Frauen im Zug, so zu sehen im aktuellen Werbespot der Deutschen Bahn. "Schaut mal Mädels", sagt die eine, "was mir mein Mann geschenkt hat: die Probe-Bahncard. Damit ich öfter mal was mit euch unternehmen kann." Und, Zufall, auch die beiden anderen Mädels sind von ihren Männern mit der Bahncard beschenkt worden. Kicherkicher. Es sind Klischees der übelsten Sorte, die in bunter, lauter Verpackung in die Wohnzimmer hineinflimmern. Rollenbilder, von denen man sich längst verabschiedet zu haben glaubte, drängen Tag für Tag auf den Schirm.

Glaubt man der Fernsehwerbung, verbringen Frauen noch immer den Großteil ihrer Tage damit, Haare und Wäsche zu waschen und den Familienkühlschrank aufzufüllen. Klementine, "Ariels" rüstige Wäschefachfrau aus den 70er-Jahren, mag der Vergangenheit angehören, doch "nicht nur sauber, sondern auch rein" waschen ihre zahlreichen Nachfolgerinnen immer noch - wenn auch ohne Latzhose und weiß-rot-kariertes Hemd. Frau kocht (wäscht), Mann fährt? In der Werbung jedenfalls erlebt dieses Modell eine Renaissance. Frauen sind fleißige Haushälterinnen, tief dekolletierte Verführerinnen mit Wallemähne und austauschbare Männer-Anhängsel. Produktübergreifend - von der Fertigsuppe über die Feuchtigkeitscreme bis zur Schokopraline.

Bei der Molkerei Ehrmann hat man sich folgendes Szenario ausgedacht: "Schatz, wo ist denn mein Müsli?", ruft Papi in den Garten, während er sich die Krawatte (= Karriere) bindet. "Im Kühlschrank", flötet seine Frau vom Frühstückstisch zurück - und es bleibt am Zuschauer, zu hoffen, dass Papi den Joghurtbecher allein öffnen kann.

So oder so ähnlich nimmt sich gegenwärtig jeder dritte Spot aus. Die "Barilla"-Werbung mit Steffi Graf schmuggelt zwar einen Mann in die Frauenkochrunde; davon einmal abgesehen ist die Küche aber männerfreie Zone. Nur in den Sommermonaten, zur Grillsaison, dürfen die Männermodels ihre Schürzen überwerfen, und ran ans Fleisch.

Darüber sind nicht nur viele Zuschauer todunglücklich, sondern auch die Werber selbst. Die Wahrheit dahinter ist eine Geschichte voller Missverständnisse und fauler Kompromisse.

"Die klassische Rollen-Aufteilung ist überhaupt nicht mehr zeitgemäß, geschweige denn von Interesse oder Relevanz", sagt der Sprecher des Art Directors Clubs Deutschland (ADC), Amir Kassaei. Trotzdem dominiert sie die Werbeblöcke. Ein Grund sei, "dass das Marketing teilweise immer noch mit veralteten und überholten Klischees arbeitet. Und zwar aus der Angst heraus, alles Neue oder Ungewöhnliche könnte nicht so gut funktionieren wie das Alte und Bewährte." Dieser "Rückgriff auf das Allertraditionellste" erstaunt auch Karen Heumann, Vorstandsmitglied der Hamburger Kreativagentur Jung von Matt. "Die Frau tut in vielen Werbespots Dinge, von denen sie sich gesellschaftlich längst gelöst hat."

In Wahrheit macht sie auch Karriere, fährt schnelle Autos und trinkt Bier. Die Werbung aber will davon augenscheinlich nichts wissen. Heumann ist in der Branche bekannt dafür, ungewöhnliche Wege zu gehen; Spots aus ihrem Haus sind oft auffällig und eines nie: beliebig. "Die Messlatte verschieben", nennt Heumann ihre Art zu werben. Fernab von ausgetretenen Pfaden, muffigen Gestrigkeiten und Geschlechterstereotypen. Wer aber bringt dann all die alten Klischees (wieder) in Umlauf? Und warum? Die Hamburger Fernsehjournalistin und Autorin Lisa Ortgies ("Frau TV" im WDR) sagt: "Je mehr die Unsicherheit in der Gesellschaft wächst über das, was einen Mann ausmacht, desto mehr Steinzeit und Testosteron setzt sich auch in der Werbung durch."

Fest steht: Wir waren schon einmal weiter, auch in der Werbung. Etwa in den späten 80ern und frühen 90ern, als Werber noch Helden waren, Protagonisten beinahe jedes zweiten TV-Movies. Und als Michael Schirner, Chef der ersten deutschen Superstar-Agentur GGK die Parole "Werbung ist Kunst" ausgab. Heute sei man "fast beschämt", wenn man sich in Erinnerung rufe, was damals möglich war, sagt Werberin Heumann. Große Kampagnen, die emotionalisierten, über die man sich freuen oder heftig streiten konnte wie etwa von Benetton, Diesel, Coca-Cola. Die Zeiten sind vorbei, die einstige Glamourbranche ist ausgenüchtert. Wer heute noch coole Werber sehen will, muss eine DVD einlegen: In der amerikanischen Erfolgsserie "Mad Men" sind die Angestellten um Werbechef Don Draper (Jon Hamm) noch smart, erfolgreich, sexy. Stilvorbilder.

Die Realität dagegen sieht düster aus: Das Rennen machen hierzulande stets die austauschbaren 08/15-Kampagnen und die Einerlei-Blondinen. Würde man die Markennamen auf den Shampoo-Flaschen wegretuschieren, niemand wüsste mehr, welches Model aus welchem Grund für was wirbt. Als kleine Revolution gilt es, wenn der Haarschwung nicht von rechts nach links, sondern in umgekehrter Richtung zur Kamera ausgeführt wird. Keine Experimente, heißt die Devise. Nichts, was die Kundschaft verschrecken könnte. Lieber das Modell Hausfrau der 50er- und 60er-Jahre - spießig, gemütlich, wertkonservativ - als ein differenziertes Frauenbild. Gewiss, es ist nicht Aufgabe der Werbung, die (Geschlechter-)Realität zu verändern. Aber doch auch nicht, Klischees aneinanderzuwurmen und Zuschauer anzuöden. War Werbung denn nicht mal Avantgarde? Hatte sie nicht mal eine Vorreiterrolle, gesellschaftlich und ästhetisch? Die propperen "Dove"-Models etwa, ersonnen vor einigen Jahren von der Agentur Ogilvy & Mather, haben wohl mehr beigetragen zur Abkehr vom Magerwahn als die Kampagnen des Bundesministeriums für Gesundheit. Wenn Kreativität bedeutet, nicht zu kopieren, dann hat sich die Werbung offensichtlich davon verabschiedet, eine Kreativbranche zu sein. Sie ist Dienstleister, mehr nicht.

Das mag zum einen daran liegen, dass die Marktforschung von vornherein Sätze und Bilder aussortiert, die selbst nur ein geringer Teil der Testpersonen als befremdlich empfindet. Die Marktforschung nivelliere vieles, bestätigt Werberin Heumann. Kampagnen, die Ecken und Kanten haben, erblickten nur selten das Licht der Öffentlichkeit. Ein "Minenfeld der Bedenken" nennt sie den Prozess zwischen Ideenfindung und TV-Ausstrahlung. Ein vorauseilender Gehorsam, der dazu führt, dass Otto Normalzuschauer in den Werbepausen nicht mehr den Blick von der Zeitung heben muss. Weil sich die meisten Spots lediglich in der Haarfarbe der Models und der Tonlage des Produktjingles unterscheiden. Die umwerfenden Mini-Filme, die alljährlich beim weltweit größten Werbefilmfestival in Cannes antreten, haben mit unserer Fernsehwerbung ungefähr so viel gemeinsam wie Atomphysik mit Schlammcatchen. Sogar der berühmte "Jever"-Mann, so hört man, wäre beinahe nicht auf Sendung gegangen. Der Mann, der sich, endlich mal frei von Terminen und Stress, entspannt in die Dünen plumpsen ließ, wirkte auf viele Testpersonen - betrunken. Die Agentur leistete langwierige Überzeugungsarbeit - und der Spot ging als einer der langlebigsten und erfolgreichsten in die deutsche TV-Werbegeschichte ein.

Auf der anderen Seite gebe es, sagt Heumann, "Grundkonstellationen, die stärker sind als wir". Vater, Mutter und zwei wohlgeratene Kinder, großer Garten, und ein Eichhörnchen hüpft um den Baum - eine Zuhause-Idylle, ein Trost des Althergebrachten. In Werbesprache übersetzt heißt das: Ein Model streift durch Blümchenwiesen, weil das neue Waschpulver so gut riecht (Perwoll). Die Frauengruppe diskutiert die Naschgewohnheiten der Kinder (Kinder Schokobons). Der Familienvater tobt mit seinen Söhnen im Garten und lässt sich dann an den gedeckten Tisch fallen (Rügenwalder Wurstaufstriche). Die Mutter chauffiert die Kinder mit der Familienkutsche durch die Gegend (Katjes). Gegen eine Sehnsucht nach traditionellen Werten ist ja prinzipiell nichts zu sagen - aber es gibt ein Leben jenseits dieses Entwurfs. Die Wirklichkeit, in der wir leben, hält mehr bereit als Männer, die das neue Auto vorfahren, und Frauen, die derweil die Frisur optimieren (noch mehr Halt! Noch mehr Volumen!).

Ob die Postbank (oder vielmehr die Düsseldorfer Werbeagentur BBDO) erkannt hat, wie banal und unbefriedigend das Wiederkäuen der Geschlechterklischees ist? Jedenfalls nimmt sie die klassische Rollenaufteilung in einem TV-Spot für Privatkredite gekonnt auf die Schippe: Während die junge Frau die Einkäufe in der neuen Küche auspackt, übt sich ihr Mann in gedankenloser Konversation: "Warum haben wir dir eigentlich 'ne neue Küche gekauft? So gut kochst du doch gar nicht ..." Sie stutzt kurz und antwortet dann süffisant: "Wir haben dir doch auch ein neues Auto gekauft." Na also, geht doch.

Von dem Schriftsteller Max Goldt haben wir gelernt, dass Menschen aus der Werbebranche innerlich zusammenzucken, wenn man das, womit sie ihr Geld verdienen, als 'Reklame' bezeichnet, dieses "Grelle aus alter Zeit". Unsere gegenwärtige Fernsehwerbung ist genau das: Reklame.