Warnung an Italien - Buchmesse geht mit politischen Bekenntnissen zu Ende.

Frankfurt/M.. Wer in Triest lebt, weiß, was Grenzen bedeuten. Claudio Magris ist nicht nur in Triest geboren. Er ist dort aufgewachsen, dort Professor, Schriftsteller, Senator geworden und hat dort seinen Hörsaal, sein Arbeitszimmer und einen immer für ihn reservierten Tisch im Café San Marco zu intellektuellen Zentren Italiens gemacht, die europaweite Ausstrahlungskraft erreichten. Als Bürger Triests hat er erlebt, wie die eiserne Grenze nach Osten jahrzehntelang die Stadt aus ihrer Region herausschnitt, wie die Konfrontation zweier politischer Hemisphären das Leben der Triestiner in einem Maße zerrissen, wie das sonst nur die Berliner erlebt haben.

Die Grenze, die nötig ist, um das Eigene als das Eigene zu erkennen, die aber auch dazu verführen kann, im Fremden nur das Feindliche zu sehen, wurde so zu einem Lebensthema für Magris. Seine Studien über den Mythos des Vielvölker-Königshauses Habsburg und über die West- und Osteuropa verklammernde Donau machten ihn zu einem Vordenker dessen, was heute viel zu schnell und oft abschätzig auf die Formel des Multikulturalismus gebracht wird. Jede Grenze sei beunruhigend, sagte Klaus Schlögel in seiner Laudatio zur Verleihung des diesjährigen Friedenspreises an Magris in der Frankfurter Paulskirche: Eine Grenze "schmerzt, sie erzeugt ein Gefühl von Ungewissheit und Verunsicherung, aber sie stimuliert auch". Der Historiker feierte Magris als Propagandist eines ungeteilten Europa, der schon zu einer Zeit, in der Blockgrenzen den Kontinent für eine unabsehbare Zukunft zu teilen schienen, die einigenden Kräfte der Kultur in Mitteleuropa zu rekonstruieren und wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken begann.

Doch diese Kräfte haben keineswegs immer einigende Tendenzen. Wie gern Kulturgegensätze zur Abgrenzung, ja zur Abwehr genutzt werden, betonte Gottfried Honnefelder, der Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels in seiner Rede. Ausdrücklich bezog er diese Bemerkung auf die heftige Kritik, die an der Frankfurter Konferenz geübt wurde, mit der vor vier Wochen auf China als dem umstrittenen Ehrengastland der diesjährigen Buchmesse vorbereitet werden sollte. Allerdings überging Honnefelder dabei die Tatsache, dass jene Kritik nie auf die Kultur Chinas zielte, sondern nur auf die politische Forderung chinesischer Amtsträger, missliebige Autoren von der Vorbereitungs-Konferenz auszuschließen, und auf die beschämende Bereitwilligkeit, mit der die Buchmesse auf dieses Ansinnen der Zensoren einging.

Fast wie eine Antwort auf diese Bemerkung konnte man eine zentrale Passage in der Dankrede des Preisträgers Claudio Magris verstehen. Er erinnerte an die große Verantwortung des wohlhabenden Europa für die Zuflucht suchenden "neuen Europäer aus der ganzen Welt" - und daran, wie unzureichend das politisch noch immer uneinige Europa dieser menschlichen Verpflichtung nachkommt. "Es wird darum gehen, uns selbst infrage zu stellen und offen zu werden für den größtmöglichen Dialog mit anderen Wertsystemen, dabei jedoch Grenzen um ein winziges, aber präzises und nicht mehr verhandelbares Quantum an Werten zu ziehen, an für immer erworbenen und als absolut anzusehenden Werten, die nicht mehr zur Diskussion gestellt werden."

Es war die Rede eines Intellektuellen von Rang und zugleich eines Grandseigneurs der Politik. Magris warnte vor dem neuen Populismus, der in Europa umgehe und Demokratien ohne Demokratie hervorbringe, vor der wachsenden Unduldsamkeit gegenüber der Rechtsprechung und vor allem vor der Unmenschlichkeit, mit der nicht nur an Italiens Küsten Flüchtlinge vor einer unvorstellbaren Not zurückgewiesen würden. Das alles war allgemein gesprochen und zielte doch deutlich genug auf Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Magris' Utopie, seine Hoffnung für die Zukunft, ist und bleibt "ein wirklich geeintes Europa, ein Staatenbund - natürlich dezentralisiert", der endlich fähig würde, sich seiner enormen Bedeutung gemäß den Aufgaben zu stellen, die über das Nationale hinausgehen.