Frauenschicksal

Es ist die gleiche schnörkellose Sprache, die wir aus "Wüste" und "Ein Ort fernab der Welt" so schätzen. Kein überflüssiges Adjektiv stört den Fluss der Gedanken. In "Lied vom Hunger" schildert der Nobelpreisträger des Jahres 2008, Jean-Marie Gustave Le Clézio, einfühlsam ein Frauenschicksal im Paris zwischen den Weltkriegen. Ethel, Tochter von Einwanderern aus Mauritius, freundet sich mit der dubiosen russischen Fürstentochter Xenia an. Sie erfährt die Wirren der ersten Liebe. Nach einem Betrug verarmt ihre Familie. Schwierige Zeiten in einer Atmosphäre von Krieg, Hunger und Antisemitismus. (Annette Stiekele)

Spionage

Als Austauschschüler getarnt, reist Spion Nummer 67 in die USA, um das westliche System mit einem vernichtenden Schlag zu treffen. Der 13-jährige Schläfer hasst seine Gastfamilie. Besonders sein Gastbruder, den er "Schweinhund" nennt, verkörpert für ihn den dekadent-verkommenen Westen. Doch bald merkt Agent 67, dass es nicht immer leicht ist, zu seinen Überzeugungen zu stehen. Denn "Schweinhund" hat auch eine Schwester ? Der Roman trieft von Blut und Sperma. Eigentliche Provokation ist jedoch die Sprache: ein groteskes, schwer zu lesendes Kauderwelsch. Zynisch, abartig, radikal, verstörend - und nie langweilig. (Anne Dewitz)

Lebenskrise

Wenn ein Lebensentwurf scheitert, offenbart sich: Niemand kann vor sich davonlaufen. In "Grenzgang", dem zum Mitfavoriten um den Buchpreis gehandelten Romandebüt von Stephan Thome, konzentriert sich die Handlung um ein paar Festtage, die in einer hessischen Provinzstadt alle sieben Jahre stattfinden. Thome ist präziser Beobachter mit einer schmerzhaft genauen Sprache. Er seziert hart und hintergründig komisch den Provinzalltag und die verschraubten Gefühle seiner Protagonisten, ob es die verlassene Ehefrau Kerstin ist oder der Rückkehrer aus der Hauptstadt, Thomas. Das perfekte Buch zur Midlife-Krise. (Hans-Juergen Fink)

Selbstporträt

Wenn man Maxim Biller in einer Kneipe in Kreuzberg oder Prenzlauer Berg sieht, dann nie ohne Anhang. Er redet, sie lauschen. Oder umgekehrt. Biller, geboren 1960 in Prag, einer der großen Stilisten der deutschen Sprache, ist ganz bestimmt kein unsoziales Wesen. Seine Wortmacht nutzt er trotzdem oft, um sich auf eine einsame Insel zu retten. Denn Biller ist ein großer Hasser. Seine frühe Kolumne in "Tempo" hieß "100 Zeilen Hass" und formulierte Letztgültiges. Sein neues Buch heißt "Der gebrauchte Jude. Ein Selbstporträt" und ist ein ebensolches - schmerzend, fulminant, übertreibend. Und brillant geschrieben. (Thomas Andre)

Liebe

Sie sind wohl das, was man ein Traumpaar nennt, aber es macht ihnen Angst: Emma, die schnodderige Querdenkerin, und Dexter, der charismatische Selbstzweifler aus der Upperclass. Also verpassen sie sich immer wieder, denken sich Ausreden aus. Und trotzdem bleiben sie: ein Traumpaar. "Zwei an einem Tag" hat der Brite David Nicholls seinen wunderbaren Liebesroman genannt, der am 15. Juli 1988 beginnt, mit einer trunkenen Nacht nach der Graduiertenfeier. 19 weitere 15. Julis schildert Nicholls, 19 weitere Male machen sich Emma und Dexter gegenseitig das Leben schwer. Wir leiden aufs Schönste mit. (Karolin Jacquemain)

Verbrechen

Die Wahrheit schreibt oft die verblüffendsten Geschichten. In Ferdinand von Schirachs "Verbrechen" geht es um ebensolche, um Vergehen, die (fast so) tatsächlich begangen wurden - und dennoch gelingt es dem Berliner Strafverteidiger von seinen Fällen zu schreiben, als seien sie der Literatur entsprungen. Von dem freundlichen Herrn, der seine Frau nach 40 Ehejahren mit der Axt erschlägt, von dem Mann, der aus gutem Grund eine Bank überfällt. Von Schirachs Miniaturen lesen sich schnell weg und wirken trotzdem nach - es lohnt sich ganz unbedingt, dafür mal den einen oder anderen "Tatort" zu schwänzen. (Maike Schiller)

Musik

Schon als Kind war Steffen Möller ein Außenseiter, weil seine musikalische Vorliebe nicht Pink Floyd oder Deep Purple, sondern Brahms und Beethoven galt. In "Vita Classica" schildert der spätere Moderator der polnischen "Wetten, dass ..?"-Version nun, wie er sich in der "Schmuddelzone der Gesellschaft" behauptete. Von Triumphen im Musikunterricht bis zu einsamen Konzertgängen und der Suche nach einer Partnerin, die seine Leidenschaft teilt, reichen die amüsanten "Bekenntnisse eines Andershörenden". Das macht Lust, statt der neuen Metallica-CD mal wieder die Box mit den Bruckner-Symphonien herauszukramen. (Holger True)