Fünf Schauspieler porträtieren kritisch und komödiantisch “Ossis“ und “Wessis“, erzählen von den Jahren nach der Wende und wurden vom Publikum für ihre Wandlungsfähigkeit gefeiert.

Hamburg. "Keine Sau sieht durch", so schimpft die resolute Referentin aus der Staatskanzlei. Anne Weber, schick im rosa Chanel-Kostüm-Imitat, spricht über die gar nicht rosige Lage nach der Wiedervereinigung. Es kommt jedoch immer auf den Standpunkt an, wie man die Situation erlebt und betrachtet. Das zeigen Regisseur Ulrich Waller und die Schauspieler in Klaus Pohls Monolog-Montage "Wartesaal Deutschland" am St.-Pauli-Theater: Den einen eröffnen sich neue Chancen, die anderen sehen ihre Felle davonschwimmen. Zwar wurden die staatlichen Grenzen aufgehoben, doch innere Schranken sind geblieben. Oder wie es die Modestudentin aus Halle formuliert: "Wir sind Kinder der Mauer und mit Begrenzungen aufgewachsen."

Ulrich Waller begrenzt auch den Spielraum für seine Akteure. Er lässt sie vor einer weißen Folie wie im Fotostudio posieren, um die Menschen aus verschiedenen Altersstufen und sozialen Schichten abzubilden. Trotz der Rhythmusverschiebungen im Auf- und Abtreten wirkt die Typen-Parade leicht eintönig, schafft andererseits jedoch Konzentration für die Feinheiten in den Darstellungen dieser Porträt-Galerie.

"Von mir aus hätte es so bleiben können", klagt die die apathische Rentnerin von Verena Reichardt, die dann später als Putzfrau und idealistischer Bürgermeister wiederkommt. Erik Schäffler ist ein verkrachter Taxifahrer: Entwurzelt im deutsch-deutschen Hin und Her, hat er seine große Liebe verloren und "kriegt nichts mehr geregelt hin". Als wütender Versicherungsvertreter lässt Schäffler dann jahrelang aufgestaute Aggressionen über die Schikanen der Vopos ab. Weinerlich und zittrig zeichnet dagegen George Meyer-Goll den von Genossen gedemütigten Psychologieprofessor aus Jena als einen gebrochenen Verlierer, trumpft lautstark als westlicher Versicherungshai auf, der die "stinkenden Ossis" reglementiert und mit jovialen Späßen dirigiert: "Wir sind jetzt im Westen und haben nach Westmuster zu leben."

Anja Boche vertritt im "Konzert der Stimmen" die jungen Leute. Sie spielt in Pohls Stück eingeschobene Passagen aus Wallers 1995 gedrehter TV-Dokumentation "Der geile Osten" und sorgt für ein kesse Lippe, Sex und Komik. Kerstin, Stripperin ohne Lizenz, durfte zwar nackt vor Parteikadern tanzen, aber die Sache nie beim Namen nennen und musste sich als "Unterhaltungskünstlerin" tarnen. Ein amüsantes Beispiel für die spießige Bigotterie der Ost-Genossen. Als clevere Modestudentin bezeichnet Boche "Sex in Halle als einen monotonen Film" und kritisiert die DDR "als einen einzigen Kreativitätsbremser".

Ulrich Waller und die fünf Darsteller skizzieren mit subtiler Ironie und Lust an Kontrasten und Komödiantik die 20 Deutschen. Sie klopfen - nie denunziativ - deren Parolen und Sprüche, vermitteln aber auch berührend und kritisch einzelne Schicksale. Den Spielern gelingen präzise, auch in der Kürze prägnante Studien. Sie erzählen von Angst, Einsamkeit und Verzweiflung, aber auch von Kampfesmut, Selbstbewusstsein und zähem Überlebenswillen.

Neue An- oder Einsichten in den deutsch-deutschen Dauerknatsch bringt Pohls 1995 entstandene, auf Interviews basierende "Nummern-Revue" allerdings nicht. Etliche Probleme, wie das der Neonazis, werden überhaupt nicht angesprochen. Doch trifft Anne Webers forsch quasselnde Referentin den wunden Punkt der Konflikte: Solange die Leute, die noch die DDR erlebt haben, nicht gestorben sind, bleibt die Mauer in den Köpfen der Menschen bestehen.

Was Ulrich Waller im Schlussbild der eineinhalbstündigen pausenlosen Szenenfolge unterstreicht: Die Schauspieler blicken durch die Mauer. Sie lösen sich aber nicht aus ihrem Rahmen. Der "Schutzwall gegen den Kapitalismus" wirkt weiter als Einschränkung. Als eine innere Barriere, die das Denken und die Sichtweisen der Menschen, die von ihr eingesperrt worden sind, noch immer begrenzt.

Wartesaal Deutschland 7.-9., 13.-18., 30./31.10 sowie am 9.11., St.-Pauli-Theater, Karten: T. 47 11 06 66 und Internet www.st-pauli-theater.de .