In der Nacht zum Montag starb Deutschlands bedeutendste Kinderbuch-Verlegerin. Mit Autoren wie Astrid Lindgren und James Krüss verband die Hamburgerin und Mitgründerin des Oetinger-Verlags eine lebenslange Freundschaft.

Hamburg. Am 19. November des vergangenen Jahres konnte Heidi Oetinger noch mit einem Empfang im Übersee-Club im großen Familien- und Freundeskreis ihren 100. Geburtstag feiern. Nun ist die große Verlegerin in der Nacht zum Montag in Hamburg-Duvenstedt gestorben. Das bestätigte gestern die Verlagsgruppe Oetinger. Mit Heidi Oetinger verliert die Bundesrepublik ihre bedeutendste Kinderbuch-Verlegerin, eine außerordentlich erfolgreiche Geschäftsfrau, die ein sicheres Gespür für wichtige Bücher hatte und zu vielen ihrer Autoren ein enges persönliches Verhältnis unterhielt.

In diesem Zusammenhang muss zuerst Astrid Lindgren genannt werden, die ihre deutsche Verlegerin in Briefen stets als "liebste Schwester" ansprach. Das Verhältnis von Astrid Lindgren zu Heidi Oetinger war von Anfang an etwas Besonderes: 1949, zu einer Zeit, als Heidi im Verlag ihres späteren Mannes noch als Sekretärin arbeitete, hatte Friedrich Oetinger die Lizenz für ein außerordentliches und für die deutschen Nachkriegsverhältnisses auch außerordentlich mutiges Buch mitgebracht: die Geschichte der ebenso fantasievollen wie respektlosen "Pippi Langstrumpf". Einige Pädagogen runzelten die Stirn, anderen standen die Haare zu Berge, denn das fröhliche Selbstbewusstsein, für das Pippi stand, passte schlecht in die autoritären Gesellschaftsstrukturen der 50er-Jahre. "Pippi Langstumpf" war kein Selbstgänger, das Verlegerehepaar setzte sich mit viel Überzeugung, Engagement und einigen recht unorthodoxen Marketing-Maßnahmen für dieses Buch ein - was sich freilich in wirklich jeder, und damit auch in materieller, Hinsicht auszahlen sollte.

Der Verlag Friedrich Oetinger, der äußert bescheiden in einer Zweizimmerwohnung begonnen und zunächst auch Wirtschaftsliteratur publiziert hatte, wurde mit "Pippi Langstrumpf" zu einem der führenden bundesdeutschen Kinderbuchverlage.

Zur ersten Begegnung zwischen der schwedischen Autorin und der deutschen Verlegerin kam es, als Lindgren auf der Durchreise von Paris nach Stockholm im Verlag ihr erstes Honorar persönlich abholte, eine noch sehr geringe Summe, wie die Verlegerin später sagte. "Wir hatten sofort einen Draht zueinander", erinnerte sich Oetinger noch im vergangenen Jahr im Abendblatt an den Beginn ihrer Freundschaft, die bis zu Lindgrens Tod 2002 immer enger und vertrauensvoller wurde.

Aber Erfolge feierte Oetinger nicht nur mit Astrid LindgrensTiteln, sondern auch mit den Büchern des Helgoländers James Krüss ("Timm Thaler", "Mein Urgroßvater und ich") , mit "Pettersson und Findus" von Sven Nordqvist, mit der "Sams"-Reihe von Paul Maar, den Titeln von Kirsten Boie und weiteren Kinder- und Jugendbüchern, von denen einige Klassiker wurden.

Die Bücher von Cornelia Funke, der zurzeit weltweit erfolgreichsten deutschen Kinder- und Jugendbuchautorin, erscheinen im Verlag Cecilie Dressler, der auch zur Verlagsgruppe Oetinger gehört. Mitte der 80er-Jahre hat sich Heidi Oetinger aus dem aktiven Verlagsgeschäft zurückgezogen, die in Duvenstedt ansässige Verlagsgruppe wird heute von ihrer Tochter Silke Weitendorf und den Enkeln Jan und Till Weitendorf sowie der Enkelin Julia Bielenberg geführt.

Doch auch später hat die Patriarchin am Verlag Anteil genommen, hat ihre Meinung geäußert und an Lektoratssitzungen teilgenommen. Die moderne, globalisierte Welt ist der alten Dame zuletzt immer fremder geworden, ihr Lebensradius wurde enger.

"Die Bücher, die junge Menschen in die Hand bekommen, sollen ihnen zeigen, wie schön die Welt sein kann. Sie dürfen jedoch nicht vertuschen, dass es Schwierigkeiten, Gefahren, Enttäuschungen, Angst, Verlust, Trauer gibt. Aber die Kinder sollen mit solchen Problemen nicht alleingelassen werden. Sie sollen lernen, dass man damit leben muss und wie man damit fertig werden kann", formulierte Oetinger einmal ihr Credo, das zugleich ihr Erfolgsrezept gewesen ist. Sie selbst hat diesen Anspruch jahrzehntelang eingelöst.