Bei Stefan Zweig sind es die Sternstunden der Menschheit, bei Guido Knopp immerhin “Die Sternstunden der Deutschen“, die der Journalist und wohl prominenteste Geschichtslehrer im deutschen Fernsehen am 12. November in einer Live-Show im CCH präsentiert.

Hamburg. Der Mauerfall, der sich in diesem Jahr zum 20. Mal jährt, war ausschlaggebend für die Idee. Zum Tag der Deutschen Einheit sprachen wir mit ihm über seine eigenen Wendeerlebnisse, sein persönliches Stückchen Mauer und seine deutsche Lieblings-Sternstunde.

Abendblatt:

Ihre Auswahl der Sternstunden reicht bis hin zur Kaiserkrönung Karls des Großen. Daneben nehmen sich die Erfindung der Zahnpasta und der Haribos ja eher bescheiden aus ...

Knopp:

Erfindungen spielen für viele eine große Rolle.

Abendblatt:

Nach welchen Kriterien haben Sie denn ausgewählt?

Knopp:

Es gibt politische Sternstunden wie den Mauerfall, emotionale Sternstunden wie das "Wunder von Bern" oder auch andere sportliche wie den Sieg von Boris Becker in Wimbledon. Und eben die großen Erfindungen, auf die ich besonderen Wert gelegt habe. Denken Sie an Robert Koch, der den Nobelpreis zur Erforschung der Tuberkulose gewann, oder an die Entdeckung der Röntgenstrahlen. Denken Sie auch an Gutenberg, der vom "Time Magazine" zum Mann des Jahrtausends gewählt worden ist, für die Erfindung der Buchdruckkunst. All das findet sich wieder.

Abendblatt:

Und da reiht sich die Erfindung der Haribos problemlos mit ein?

Knopp:

Genau.

Abendblatt:

Was ist denn Ihre persönliche Sternstunde?

Knopp:

Natürlich der Mauerfall und die deutsche Einheit 1989/90, mit der ich auch auf eine Vortragsreise gehe. Das ist mein Thema in diesem Herbst. Zudem kann ich auch viele eigene Erlebnisse beisteuern. Die Wiedervereinigung war eine Gnade der Geschichte. Ich habe damals eine Reihe für das ZDF gedreht, "Die deutsche Einheit" und diese Zeit sowohl als Journalist als auch privat erlebt.

Abendblatt:

Wie denn?

Knopp:

An dem Wochenende des Mauerfalls war ich ab dem 10. November in Berlin und habe dort mit einem Team gedreht. Es gab so viele emotionale Momente, wie man sie sonst nie erlebt. Erwachsene Männer hatten Tränen in den Augen. Für mich als Amateurcellisten war es auch sehr bewegend, dass der große Cellist Mstislav Rostropovich aus Paris einflog. Er fuhr an die Mauer, packte sein Cello aus, nahe dem Checkpoint Charly, und spielte zum Gedenken an die Toten der Mauer Bachs Solosuiten. Es gab auch skurrile Ereignisse. Ich erinnere mich, wie Bundespräsident Richard von Weizsäcker an der Mauer stand und auf einen Durchbruch wartete. Da erblickt ihn ein NVA-Offizier der Grenztruppen, marschiert stramm auf ihn zu, salutiert und sagt: "Melde gehorsamst, Herr Bundespräsident, hier keine besonderen Vorkommnisse."

Abendblatt:

Sie waren auch in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990 vor dem Reichstag in Berlin, als der Countdown zur deutschen Wiedervereinigung lief. Sind Ihnen aus der Nacht bestimmte Personen in Erinnerung geblieben?

Knopp:

Da waren bis zu eine Million Menschen auf dem Platz. Ich erinnere mich an ein Ehepaar aus Dresden, das mit seinem Sohn da war. Sie sagten, dass es schwer werden würde. Auch beruflich würden große Umstellungsprobleme auf sie zukommen. "Aber die Freude überwiegt, und wir werden es schon schaffen." Das war ein mutiges Wort in dieser Nacht, an das ich mich sehr, sehr gern erinnere.

Abendblatt:

Wissen Sie, ob sie es tatsächlich geschafft haben?

Knopp:

Ja, diese Familie schon. Andere wiederum sind gescheitert. Es gab ja viele individuelle Nöte und Sorgen durch die wirtschaftlichen Umstellungen, die es in der Ex-DDR gab. Das kann man nicht ausblenden, wenn man diese Zeit betrachtet. Aber wenn man sich das Gesamtbild vor Augen führt, muss man sagen, dass Deutschland ungeheures Glück hatte. Die Tür stand für kurze Zeit nur einen Spalt weit offen. Der Prozess war ungeheuer gefährdet. Wenn man bedenkt, wie gegen Gorbatschow im August 1991 geputscht wurde. Die Putschisten standen schon im Sommer 1990 bereit. Der Putsch scheiterte nur, weil Marschall Sergej Achromejew, der Gorbatschows Platz einnehmen sollte, Skrupel bekam und sich verweigerte. Wäre es anders gekommen, hätten wir die deutsche Einheit womöglich vergessen können. Für mich ist der 3. Oktober ein sehr schöner Tag.

Abendblatt:

Sie gehörten zu den Mauerspechten. Wo bewahren Sie denn Ihr Stück Mauer auf?

Knopp:

Ich habe zwei Mauerstücke. Eins bekam ich geschenkt. Das andere habe ich selbst herausgeschlagen, nahe dem Brandenburger Tor, Richtung Reichstag. Das hüte ich wie einen Augapfel. Es liegt in meinem Arbeitszimmer, sodass ich es immer sehen kann.

Abendblatt:

Die Wiedervereinigung hatte ja konkrete Auswirkungen auf Ihr Leben. Ihre Frau stammt aus Ungarn. Hätten Sie sie auch getroffen, wenn die Geschichte anders verlaufen wäre?

Knopp:

Das kann man nie ausschließen. Der liebe Gott schafft Gelegenheiten.

Abendblatt:

Welches in der Zukunft liegende historische Ereignis möchten Sie noch erleben?

Knopp:

Eine europäische Parlamentswahl für ein Parlament, das wirklich weitreichende Befugnisse hat, das einen europäischen Ministerpräsidenten wählt, der für ein auch politisch vereinigtes Europa spricht. Das wäre ein wundervoller Tag.

Sternstunden der Deutschen: CCH, 12.11., 20 Uhr, 12-29 Euro. Abendblatt-Leser können Guido Knopp persönlich treffen: das Arrangement (Sekt, Empfang um 19 Uhr, ein signiertes Buch, Eintrittskarte PK1) gibt es für 48,95 Euro in den HA-Ticketshops.