Seit ihrem Hit “All I Need“ gilt Air als Wegbereiter verführerischer Easy-Listening-Soundtapeten. Jetzt erscheint ihr sechstes Album “Love 2“.

Berlin. Es gibt wohl keinen besseren Ort, um ein Interview mit dem französischen Popduo Air zu führen, als eine Hotelbar. Da ist die luftige elektronische Musik ihres nunmehr sechsten Albums "Love 2" gewissermaßen zu Hause.

An diesem heißen Sommertag sorgt die Klimaanlage in der Berliner Bar für Tiefkühltemperaturen. Keyboarder und Sänger Jean-Benoît Dunckel Barbier hat sich an ein offenes Fenster zurückgezogen und blinzelt auf die Touristenschiffe auf dem benachbarten Kanal. Sein Kompagnon Nicolas Godin, zweiter Songschreiber und zuständig für Gitarre und Gesang, gibt Interviews in der Ecke gegenüber.

Seit ihrem Hit "All I Need" vom Debüt "Moon Safari" (1998) gilt Air als Wegbereiter verführerischer Easy-Listening-Soundtapeten, wie sie auch De-Phazz oder Moby fabrizieren. Der sonst so sanfte Dunckel Barbier zeigt sich von der musikalischen Nachbarschaft genervt: "Easy Listening suggeriert, dass Musik schlicht ist. Für den Fahrstuhl. Wir versuchen emotionale Musik zu schreiben mit bedeutenden Gefühlen." Dass ihre Musik in Hotelbars gespielt wird, stört ihn nicht. "Das passt schon. Bei Air gibt es keine Aggression, keine Verstörung des Ohres, sondern Harmonie."

Auf "Love 2" erscheinen die typisch lyrisch schwebenden Air-Klänge, die schläfrigen Vintage-Keyboards, über die sich zaudernd eine ironisch gebrochene Melodie legt, lebendiger als zuletzt. Die Zahl Zwei suggeriert eine "höhere" Art von Liebe.

In Songs wie "Eat My Beat" werden Erinnerungen an die 50er-Jahre-Surfmusik Kaliforniens wach. In "Tropical Disease" entdecken die beiden den Reiz des Retro-Funks. "Unsere Lieder entstehen spontan. ,Solarlight Is Her Footfall' handelt von der Sekunde, in der ein Mann einen vorbeiziehenden Geist beobachtet. Und das ist das ganze Lied. Ein Schnappschuss." Der Titel stammt aus der Erzählung "Das Gespenst von Canterville" von Oscar Wilde. "Die Dekadenz Ende des 19. Jahrhunderts fasziniert uns. Wir sehen da eine Parallele zu heute. Das Ende der Tradition geht einher mit dem Endsieg des Kapitalismus."

Politisch wird das Duo deswegen noch lange nicht. Aber auf eine kunstvoll lethargische Art ist Air immer progressiv gewesen. Das Album haben die beiden komplett im eigenen Studio produziert - wobei sie niemals einer Meinung waren. Gleichzeitig gelten sie als unverhohlene Romantiker. "Das ist für uns ein Lebenskonzept. Ziel ist es, ein kaltes Leben zurückzuweisen, das zu stark kontrolliert ist. Nah an unseren Leidenschaften zu leben. Etwas zu wagen." Dieses Moment der Eleganz, der Kontemplation und der feinen Lakonie eint die Musiker mit der Filmregisseurin Sophia Coppola, für deren Filme "The Virgin Suicides" und "Lost In Translation" sie ihre verführerischen Musiken beisteuerten. Und mit Charlotte Gainsbourg, ihrem Debüt-Album "5:55" verhalf das Duo ans Licht.

Die stets gut gekleideten Musiker sind bekannt für ihren ästhetischen Perfektionismus. "Das ist pathologisch. Eine Folge unserer Unfähigkeit, natürliche Dinge zu lieben", so Dunckel Barbier. "Das kostet einen irren Aufwand an Energie und Geld. Und es wird dennoch nie perfekt genug sein." Nicolas Godin ist studierter Architekt. "Ich glaube, dass architektonische Modelle die Art, wie wir unsere Musik aufnehmen, stark beeinflussen", sagt Dunckel Barbier. Und wie würde ein Air-Haus aussehen? "Es wäre sehr hell mit viel leerem Raum. Modern, zeitlos, offen zum Himmel mit viel Glas. Architekten packen Leere zwischen Wände. In der Musik ist es genauso, da platzieren wir die Stille zwischen die Musik." Im Fall von "Love 2" ist es ein fast perfektes Wohlfühlhaus.

Air: "Love 2 " erscheint am 2.10. bei Virgin