Ob mir auch schon aufgefallen sei, fragt Leser Sch., “dass wir alle vier Jahre bei der Wahl unsere Stimme abgeben. Danach haben wir keine Stimme mehr!“ Sprachlich erscheint das logisch, ist aber Unsinn.

Denn wir geben ja nicht unsere Stimme, also unser Recht, frei zu wählen, ab, sondern ein Votum; wir kreuzen die Partei und den Kandidaten unserer Wahl an. Dieses Votum allerdings ist dann futsch, wir kriegen es nicht zurück, auch wenn das Wahlergebnis ganz und gar nicht unseren Wünschen entsprechen sollte.

Ich erwähne das nur, um - wieder einmal - klarzumachen, wie falsch viele Redensarten sind, mit denen wir tagtäglich umgehen, aus Gewohnheit und ohne viel dabei zu denken. Manche dieser Redensarten tauchen auf wie Moden und verschwinden so auch wieder. Sie folgen keinen Regeln, sondern entwickeln sich anarchisch - wie die Sprache selbst. Das muss man nicht gut finden, aber es ist nun mal so. Ich staune immer wieder über die empörten Briefe mancher Leser, die den Untergang unserer Muttersprache gekommen sehen, weil diese nicht mehr so ist, wie sie damals in der Schule gelehrt worden ist. Leser W. macht am falschen Gebrauch von "als" und "wie" sogar den Verdacht fest, dass "über 50 Prozent aller Deutschen kein Deutsch können".

Da könnten Sie sogar recht haben, lieber Herr W., wenn Sie (nur beispielshalber) die ständige Verwechslung von "dasselbe" und "das gleiche" und auch noch den falschen Gebrauch des Konjunktivs dazu nehmen, der schon fast zur Regel geworden zu sein scheint. Es ist eben so, dass nicht der Oberlehrer bestimmt, was falsch und was richtig ist, sondern die Sprachgemeinschaft, also wir alle. Und wenn wir alle einen Fehler immer wieder machen, dann wird er irgendwann zur Regel: Communis error facit ius. Das bedeutet nichts anderes, klingt lateinisch aber besser. Und was, Herr W., sagen wir unserem Dichterfürsten Goethe, der auch nicht säuberlich zwischen "als" und "wie" unterschieden, sondern (im "Faust" zum Beispiel) manchmal beides hingeschrieben hat: "Hatte sich ein Ränzlein angemäß't / Als wie der Doktor Luther"? Also, gehen Sie morgen, um Himmels willen, zur Wahl und geben Sie Ihre Stimme ab - Sie werden sie nicht verlieren. Das passiert Sängern gelegentlich, aber niemals Wählern. Es kann in einer Demokratie auch gar nicht anders sein, denn spätestens in vier Jahren werden Sie wieder aufgefordert, Ihre Stimme abzugeben - und werden sie dann vielleicht einer ganz anderen Partei und einem ganz anderen Kandidaten geben.