Sehr geehrter Cocktailflegel,

Sie werden sich vielleicht an mich erinnern, wir begegnen uns auf Empfängen, Premierenfeiern oder Galas. Das letzte Mal sogar intim. Sie rammten mir Ihren teuer betuchten Ellenbogen in die Milz, als Sie den Spalt zwischen Tischkante und mir ausnutzten, um nach dem Büfett zu schnappen; sich für Schweinemett in Blätterteig anzustellen wie alle anderen, erschien Ihnen wohl zu konventionell. Mein frugales Mahl hüpfte vom havarierten Teller in den Saucentopf. Stolz präsentierten Sie Ihrer Begleitung Ihre Beute, man zitierte Darwin, da schnellte Ihr Fangarm wieder vor und angelte am Kinn des Kellners entlang nach Erlebnisbrei im Gläschen. Ihre Begleiterin arrangierte derweil die angebissene Molekularwurst in einem Blumenkübel und warf ihr Haar; der Herr hinter ihr, der ein Petit Four zum Mund führen wollte, zog sich eine Strähne Verblondetes aus den Lippen. Die Schneise Ihrer Verwüstung wurde von Ihnen souverän übersehen.

So nah waren wir beide uns noch nie! Nur einmal, fast, als Sie sich in der Wartetraube zur Garderobe so gekonnt vor mich drängten, dass ich die schüchterne Frage wagte, ob Sie Autofahren in Paris gelernt hätten. "Wieso?", blasierten Sie zurück. "Weil man dort nur nach vorne schaut und auf keinen Fall nach links oder rechts." Das gemurmelte "blöde Gans" habe ich übrigens gehört. Unser erstes richtiges Gespräch! Beinahe hätten Sie mich direkt angesehen; etwas, was Sie sonst vermeiden, um beim Small Talk nicht zu verpassen, ob wer Wichtigeres als Ihr Gegenüber vorbeikommt. Ja, ich bin auch die, deren bittende Blicke Sie ignorieren, wenn Sie in der letzten Stehtischreihe tuscheln und telefonieren, während jemand eine Ansprache hält und wir anderen die Klappe. Sie lassen sich nicht den Mund verbieten, das ist Ihr demokratisches Recht, Meinungen jederzeit auszusprechen, und sei es, der (Gratis-)Wein sei zu warm.

Nun aber zum Anlass meines Schreibens: Was ist das Geheimnis Ihres Erfolges, wieso kommen Sie mit miesen Manieren durch?

Bitte, wie meinen? Weil Sie keiner daran hindert? Die Wohlerzogenen sowieso nicht, die sähen diskret über Ihre Unarten hinweg, wie es Knigge auch empfiehlt? Ach, so.

Mit Verlaub: Wir können auch anders.

Wie Schriftsteller mit unhöflichen Typen umgehen? Sie pressen sie in Buchdeckel. Gunter Gerlach: "Mord ohne Leiche", Lesung, Do 24.9., 20.00, Zinnschmelze (S/U Barmbek), Maurienstr. 19, 10,-; www. zinnschmelze.de; www.gunter-gerlach.de

Nina George schreibt jede Woche in LIVE und liebt Hamburg.