Das Lübecker Grass-Haus zeigt anlässlich des Jubiläums eine Ausstellung zur Geschichte der “Blechtrommel“.

Lübeck. Kein anderer Roman vertritt so sehr die deutsche Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg wie Günter Grass' "Die Blechtrommel". Als der Roman 1959 erschien, löste er ästhetisch, moralisch und thematisch einen Sturm aus. Er rief "Schreie der Freude und Empörung" hervor, wie der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger sagte, oder auch ein "Blech-Trommelfeuer", wie es die spätere Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek nannte.

Das Günter-Grass-Haus in Lübeck zeigt nun aus Anlass des 50. Jubiläums des Erscheinens des Buches, für das Grass den Literaturnobelpreis erhielt, eine Ausstellung zur "Blechtrommel": "Ein Buch schreibt Geschichte". Darin wird nicht nur die Entstehung des in 40 Sprachen übersetzten Buches und seiner Figuren rekapituliert, man begibt sich auch nach Paris, wo der größte Teil des Romans entstand, man kann die mit dem Oscar preisgekrönte Verfilmung von Volker Schlöndorff sehen, zeitgeschichtliche Kritiken lesen und das Ineinander von Biografie und Fiktion entdecken. Schöne Details aus der "Blechtrommel" nennt auch Jörg Philipp Thomsa, Leiter des Günter-Grass-Hauses: "Mit einem Z beginnt das Buch, mit einem A endet es." Wer weiß so etwas schon?

Der Zufall will es, dass in der schnuckeligen Altstadt von Lübeck unweit vom Grass-Haus das Haus des anderen großen deutschen Literaturnobelpreisträgers steht: das Thomas Manns, dessen Roman "Die Buddenbrooks" wie kein Zweiter für das Deutschland bis zum Ersten Weltkrieg steht. Dazwischen liegt das Haus des dritten Lübecker Nobelpreisträgers, das Willy-Brandt-Haus. Eine Reise nach Lübeck ist lohnenswert.

Am Sonntag fand im Theater Lübeck ein Festakt zum Jubiläum der "Blechtrommel" statt. Autor Günter Grass, Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, Schauspieler Mario Adorf waren dabei. Die Laudatio hielt die Schriftstellerin Julia Franck, die 2007 für ihren zeitgeschichtlichen Roman "Die Mittagsfrau" den Deutschen Buchpreis erhielt. Möglicherweise war es mehr als die thematische Nähe von Francks Roman zur "Blechtrommel", die sie zur Laudatorin prädestinierte. Vielleicht wollte man mit einer jungen Autorin ein Gegengewicht zu den vielen älteren Herren bilden, die des Lobes voll waren. Erstaunlich auch, dass eine renommierte Autorin wie Franck, anders als sich gern gedankenschwer gerierende männliche Schriftsteller, mit ihren Kindern zu einem solchen Festakt anreisen muss. Wie man sieht, geht beides - Kluges sprechen und Kinder beaufsichtigen. Welcher Autor wäre wohl dazu fähig?

Der Roman sei "komisch und grausam, lustig und lüstern", sagte Julia Franck in ihrer Laudatio, er lasse den Leser in den Abgrund deutscher Geschichte blicken. Vor ihrer Rede hatte sie in einem ihrer seltenen Interviews dem Abendblatt Auskunft gegeben über ihre Verbindung zu Grass' Roman. "Ich war beim Wiederlesen unglaublich hingerissen von der Bildkraft des Romans", sagt sie, "das hat eine ungeheure Plastizität und Wucht. Grass geht bis an die sinnliche Belastbarkeit der Leser. Der Roman lotet alle Tiefen von Ekel, Angst und Lust aus. Man kann an ihm sein eigenes ästhetisches Empfinden eichen." Die Frage nach Gewissen und Verantwortung, die der Roman stelle, sei ihr wichtig. "Autor und Leser werden unmittelbar davon angesprochen. Das Buch behandelt ja nicht nur den Nationalsozialismus, sondern schaut nach dem Krieg, in welcher Enge und Restituierung sich die Gesellschaft damals befand. Nach außen sollte alles konventionell und heil erscheinen. Hülle und Kostüm mussten stimmen."

Und was ist das Zeitlose, Gewichtige an der "Blechtrommel"? Julia Franck sagt: "Nicht nur die Kunst, auch die Gesellschaft wurden von diesem Buch geprägt. Es ist Teil der Entwicklung von Deutschland geworden. Die Frage nach der Verantwortung eines jeden, danach, wie humane Tabus fallen können, ist für junge Menschen heute nach wie vor spannend."

Ausstellung "50 Jahre Blechtrommel" , Lübeck, Günter-Grass-Haus, Glockengießerstr. 21, bis 31.1. 2010, Tel: 0451-122 42 30