Mit “Baarìa“ wird das Festival in Venedig erstmals seit 18 Jahren mit einem italienischen Film eröffnet - eine Saga vom Faschismus bis in die 80er.

Venedig. Absperrungen, Gitterzäune, Baucontainer: Der Lido von Venedig gleicht in diesem Jahr keineswegs einem glamourösen Schaufenster für ein internationales Filmfestival, er ist vielmehr eine riesige Baustelle.

Vor dem Palazzo del Cinema konnte zwar noch wie gewohnt der rote Teppich ausgerollt werden, gleich daneben aber, vor dem alten Kasino-Gebäude, ist das Areal weiträumig verbarrikadiert und die Sicht auf die Bauarbeiten durch meterhohe Planen kaschiert. Hier entsteht ein neuer, großzügiger Palazzo mit drei Sälen, das nicht nur das längst aus allen Nähten platzende Festival entlasten, sondern auch ganzjährig als Kongresszentrum dienen und den verschlafenen Lido übers ganze Jahr hinweg attraktiv machen soll.

Der Grundstein wurde im vergangenen Jahr feierlich während des Festivals gelegt, eines von vielen Prestigeprojekten, mit denen der 150. Jahrestag des vereinten Italien im Jahr 2011 gefeiert werden soll. Das Untergeschoss ist bereits fertiggestellt, wann aber das gesamte Bauvorhaben abgeschlossen sein wird, darüber gibt es keine genauen Angaben. Das Leben ist eine Baustelle, das Festival im Ausnahmezustand.

Da passt es irgendwie, wenn der Eröffnungsfilm des diesjährigen Festivals ebenfalls überwiegend in einem Straßenzug spielt, der kaum doppelt so lang ist wie die verbaute Lido-Straße, der aber leitmotivisch immer wieder durchlaufen, durchfahren, durchmarschiert wird, ja durch den buchstäblich der Hauch der Geschichte weht. "Baarìa" ist der erste italienische Eröffnungsfilm in Venedig seit 18 Jahren, seit Emilio Greco hier "Una storia simplice" vorstellte. 18 Jahre, das ist schon fast eine Generation. Die Vorführung von "Baarìa" gleicht denn - Bauzäune hin oder her - auch beinahe einem Staatsakt, sind doch hohe Erwartungen an ihn geknüpft, das Ansehen des hiesigen Kinos zu stärken. Und wer könnte sie eher erfüllen als Giuseppe Tornatore, der Mann, der Italien mit "Cinema Paradiso" einen Auslands-Oscar bescherte?

Tornatore ist in Sizilien geboren. Von der Insel heißt es in Lampedusas Roman "Der Leopard", man müsse sie verlassen, bevor man 17 wird, weil man sonst von ihren Flausen absorbiert wird. Das hat Tornatore nicht geschafft, er ging erst mit 28. Und er kommt immer wieder.

"Baarìa" nun spielt direkt in Tornatores Heimatdorf, der dem Film den Titel gibt. Und es sind viele Déjà-vu-Momente zu entdecken, die an "Malena" und "Paradiso" erinnern. Diesmal aber will Tornatore, ähnlich wie Bertolucci einst in "1900", die Geschichte eines halbes Jahrhunderts erzählen.

Mit diesmal gleich drei Knirpsen, Cicco, Peppino und Pietro, Vater, Sohn und Enkel. In zweieinhalb Stunden umreißt er die Spanne vom Beginn des Faschismus bis in die Achtzigerjahre. Die Geschichte wird dabei in vielen Ellipsen und Wiederholungen erzählt, als sei Geschichte etwas sich zwingend Wiederholendes. Peppino wird in der Schule in die Ecke gestellt, weil sein Vater gegen die Faschisten ist, und Pietro in der gleichen Schule ausgelacht, weil sein Vater Kommunist ist. Wiederholt wird das Rathaus gestürmt. Alle Jungen müssen - Verbeugung vor "Cinema Paradiso" - einmal im Kino sitzen. Und immer wieder rennt einer von ihnen durch die sich stets wandelnde Straße, das Universum aus Tornatores Kindheit.

Das ist der - buchstäbliche - Running Gag des Films. Er gibt aber auch das Tempo der Dramaturgie vor. Denn Tornatore hetzt im Sauseschritt durch die Historie. Im Bestreben, eine ganz private Familiengeschichte mit der großen politischen zu verzahnen, reißt er zahllose Szenen an, vermag sie aber kaum auszuerzählen, weil immer schon die nächste drängt.

Sein Film glänzt mit großen, wohlkomponierten Bildern und satten Panoramen, aber im Gegensatz zu "Malena" und "Paradiso" schenkt er ihnen nicht den epischen Atem, den sie bräuchten, um sich entwickeln zu können. Ist es nun die Geschichte einer typischen sizilianischen Familie, die sich aus Armut emporarbeitet, ist es die seiner eigenen Familie oder die über Aufstieg und Niedergang der kommunistischen Partei? Am Ende weiß das niemand so recht. Tornatore überfrachtet die eine große Geschichte mit zahllosen kleinen. Das ist Historie als schöner, aber leider nur durchblätterter Bildband.

Der Höhenflug, den sich das Gastgeberland mit diesem Eröffnungsfilm erhofft haben mag, blieb damit aus.