Volker Lechtenbrinks Nixon unterliegt zwar Michael Ehnerts Talkmaster Frost, triumphiert aber durch eine fabelhafte schauspielerische Leistung.

Hamburg. "Sie sind für die Glotze geboren", frotzelt Sekunden vor dem Interview Richard Nixon sein Gegenüber David Frost und bemerkt amüsiert dessen italienische Slipper. Echte Männer tragen Schnürschuhe. Zumindest 1977 in Amerika. Die Geplänkel zwischen den Kontrahenten vor der Kamera sind vom Autor Peter Morgan erfunden. Sie würzen noch die pointierten Dialoge seines glänzend funktionierenden Polit-Thrillers "Frost/Nixon". Michael Bogdanov hat ihn mit brillanten Darstellern nuanciert und spannend an den Hamburger Kammerspielen inszeniert.

Im legendären TV-Duell brachte der Playboy und Partylöwe Frost den 1974 nach dem Watergate-Skandal zurückgetretenen 37. Präsidenten der USA zum Eingeständnis seiner Vergehen und zu einer Entschuldigung beim amerikanischen Volk. Das Interview machte Geschichte, war Vorreiter aller politischen "Schau-kämpfe" im Fernsehen und markierte den Einbruch des Showbusiness in die Politik. Morgans Lehrstück über politische Integrität verfilmte Ron Harwood 2008 mit Frank Langella und Michael Sheen. Die vertuschten Manöver aus Macht- und Geldgier werfen ein kritisches Licht auf das Fehlverhalten von Bankern und Politikern in der aktuellen Krise. Insofern kommt das Stück gerade recht zum Bundestagswahlkampf mit den vollmundigen Versprechungen.

Im Unterschied zum Drehbuch kommentieren zwei Erzähler - der Nixon-Feind Jim Reston (ein fanatisch engagierter liberaler Intellektueller: Roland Renner) und der getreue Nixon-Soldat Jack Brennan (Volker Hanisch) - die Handlung. Sie zeigt Frosts Risikospiel mit dem Interview, das beinahe schiefläuft, weil Nixon, ein redegewandter Stratege, es zu seinen Gunsten für ein Comeback nach Washington zu nützen weiß und den schlampig vorbereiteten Moderator souverän mit seinen gefühligen Geschichten totquatscht.

Volker Lechtenbrink - im Kontrast zu Michael Ehnerts leichtfüßig geschniegeltem Windhund Frost ein gerissenes Charakterschwein - dominiert die Inszenierung. Er zeigt den überlegenen Taktiker Nixon in den bewusst gesetzten Blicken und Gesten, gibt aber in den Momenten von Einsamkeit und Müdigkeit dem bärbeißig jovialen Machtmenschen auch Menschlichkeit.

Michael Ehnert zeichnet den alerten "Fernseh-Fritzen" als charmanten Entertainer und Schürzenjäger. Im letzten Moment kapiert er den Ernst der Lage, siegt schließlich durch seinen untrüglichen Show-Instinkt. Die Gegner sind auch in Großaufnahme auf der Leinwand in Holly McCarthys flexiblem Studioraum zu verfolgen. Dem Zuschauer entgeht nicht die kleinste Regung. Lechtenbrink, bühnen- wie kameraerfahren, jongliert bravourös mit den jeweils erforderlichen Mitteln und übertrifft sich an Überzeugungskraft in dieser Rolle, ohne das Vorbild zu kopieren.

Die Schauspieler demaskieren nicht nur die "dreckigen Geschäfte" der Politiker, sondern auch die Jagd in den Medien nach höchsten Quoten und demonstrieren: In beiden Branchen können skrupelloses Gewinnstreben und ein Zynismus herrschen, die die Glaubwürdigkeit und Legitimität der Demokratie gefährden.

Frost/Nixon bis zum 18.10., Kammerspiele, Hartungstraße 9-10, Karten: T. 0800-413 34 40 und www.hamburger-kammerspiele.de