Statt lebender Klischees zeigten die 80 Drehteams wirkliche Menschen mit interessanten Geschichten.

Berlin. Würde irgendjemand auf die Idee kommen, eine 24-Stunden-Reportage über Städte wie Oslo oder Lissabon zu drehen? Wahrscheinlich hat das sogar schon mal einer getan, aber Berlin darf doch auch bei einem solchen Unterfangen mit besonderer Aufmerksamkeit rechnen. Denn die deutsche Hauptstadt gehört wie New York, London und Paris zu jenen mythischen Metropolen, an denen sich weltweit Fantasien darüber, was eigentlich eine Großstadt ausmacht, entzünden.

Genau ein Jahr nach dem Aufnahmetermin am 5. September 2008 strahlten Arte und der Rundfunk Berlin Brandenburg rbb ihre Mammutreportage "24h Stunden Berlin" aus. Die Metropolen-Erregung, die in eine solche Gesamtschau Berlins hineingehört, war wohltuend grundiert von unaufgeregter Normalität. Sicher - es fehlten weder die Drag Queen und die Straßensängerin noch der arabische Rapper und der Talmudschüler, der sich in Berlin zum Rabbi ausbilden lässt. Aber aus solchen lebenden Berlin-Klischees wurden sehr rasch wirkliche Menschen, mit interessanten Geschichten.

Genauso wie aus dem unvermeidlichen afrikanischen Migranten, der beim Tellerwaschen im Hotel seine Musikerträume hegt, und aus dem Mörder, der in seiner Einzelzelle im Tegeler Gefängnis davon träumt, einmal wieder auf dem Alexanderplatz in einer Menschenmenge zu stehen. Daneben sah man aber auch den Abschleppwagenfahrer, der morgens nach dem Frühstück noch ein bisschen am Computer spielt, bevor er zum Dienst geht. Oder die allein lebende 86 Jahre alte Dame, die sich als einzigen Luxus französische Butter leistet. Oder das russlanddeutsche Rentner-Ehepaar bei der rührend unbeholfenen Morgengymnastik.

Die Qualität der von 80 Drehteams unter Beteiligung von Regisseuren wie Andres Veiel, Romuald Karmakar und Rosa von Praunheim erstellten Einzelreportagen bewegte sich im soliden Bereich des öffentlich-rechtlichen Fernsehjournalismus. Dort sieht man ja häufiger Müllfahrer oder Polizisten bei der Arbeit zu - seltener schon den Wissenschaftlern, die im Schlaflabor Menschen beim Schlummern beobachten, oder dem Mann, der im Krematorium Leichen und Särge verbrennt und die zermahlene Asche in verplombte Urnen schaufelt.

Angenehm war überall das Fehlen eines sensationsheischenden Tons. Der Kommentar aus dem Off lieferte überhaupt selten Interpretationen (dann wurde es allerdings manchmal ein bisschen gartenlaubig), meist nur Fakten. Seine Schlüsse konnte der Zuschauer selber ziehen. Dazu gab es reichlich Gelegenheit, weil die verschiedenen Reportagen, die sonst allein für sich gestanden hätten, manchmal sehr erhellend nebeneinander geschnitten waren. Süchtig machte diese Großreportage. Schon nach einer halben Stunde bedauerte man, nicht rund um die Uhr den Protagonisten auf den Fersen bleiben zu können.