Reißaus nehmen vor den Reden der Alten, das ist ein Reflex vor allem bei den Jüngeren, die gerade öffentlich ehrgeizig an der eigenen Biografie werkeln. Zum Glück ist der Berliner Autor Friedrich Christian (kurz: F.C.) Delius selbst ein älteres Semester, nämlich Jahrgang 1943.

Seine Vita hat er in den autobiografisch gefärbten Romanen "Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde", "Amerikahaus" und "Bildnis der Mutter als junge Frau" nacherzählt. Die - durchaus gewinnbringende - Selbstbezogenheit früherer Bücher gibt ihm die Souveränität, nun einen anderen ausführlich zu Wort kommen zu lassen.

Delius' neuer Roman "Die Frau, für die ich den Computer erfand" ist ein Monolog. Der 84-jährige Erzähler, der einem Journalisten ein Interview gibt, heißt Konrad Zuse und ist eine reale, historische Person. Zuse (1910-1995) ist der Erfinder des Computers, ein Tüftler aus Kreuzberg, der als Erster die Logik der Gleitkommazahlen und die Nützlichkeit des binären Codes entdeckte. Zuses Konstruktionen der rudimentären Rechenmaschinen A1, A2 und A3 gingen in den Kriegswirren verschütt.

Überhaupt war es einzig der Krieg, der verhinderte, dass Zuse reüssierte. Erst nach 1945 stellte er seine weitestgehende Entwicklung, den A4, fertig. Doch da war es zu spät, die Amerikaner hatten ihn schon überholt. Das ist die ganze Tragik dieses grandiosen Erfinders, der auch die erste Programmiersprache entwickelte.

Delius' Buch ist ein klassischer Bekenntnistext. In einer endlosen Suada - selbst die Fragen des Interviewers werden nicht notiert - berichtet Zuse über sein Leben und Werk. Dabei lässt er keinen Zweifel daran, dass Zuhörer und Leser es mit einem Genie zu tun haben. Aber nur selten wird seine Rede zu einer Philippika; der Erzähler ironisiert beharrlich und heiter seinen Verzicht auf den ihm doch eigentlich zustehenden Ruhm.

Dafür gibt er den Bildungsbürger, indem er sich zum Faust stilisiert, ein Faust freilich, der den Einflüsterungen des Mephistopheles widersteht. Seine Helena, seine Muse ist Ada Lovelace, die Tochter Lord Byrons, eine begnadete Mathematikerin. Sie ist längst tot, aber dennoch "Die Frau, für die [er] den Computer erfand". Das Erfinden, auch das geht nicht ohne Eros - und der kühle Analytiker beharrt auf seine musische Seite.

In dieser Lesart verhandelt der Roman die Unterschiede von Logik- und Kulturmenschen. "Meinen Sie im Ernst, ein Ingenieur, ein Mathematiker könne keine Märchen erfinden?", fragt der Erzähler an einer Stelle rhetorisch. Ob die imaginäre Liebesgeschichte mit Ada "wahr" ist, wird nicht letztgültig geklärt. Der Künstler Delius, dessen Quelle für die literarisch verfremdete Person des Konrad Zuse unter anderem dessen Autobiografie war, hat dennoch den größeren erfinderischen Zugriff. Er erweckt das Wesen der Poesie zum Leben: indem er aus dem realen Zuse eine fiktive Gestalt macht.

F.C. Delius liest heute, 20 Uhr, im Literaturhaus, Eintritt: 8/6/4 Euro