Regisseur Wolf-Dietrich Sprenger gelingt zur Saisoneröffnung eine großartige Studie über den Fluch der menschlichen Gier.

Hamburg. Ein Stück über einen bankrotten Banker zu inszenieren - das lässt sich wohl einmal mehr als Beleg für die Zeitlosigkeit des Theaters werten. Henrik Ibsen ist in diesem Fall der hellsichtige Autor, der in "John Gabriel Borkman" 1897 die Tragödie eines seiner materialistischen Gier folgenden Mannes nachzeichnete. Das Drama ist ein Zweifaches: Zum finanziellen Ruin kommt das fast noch schlimmere private Desaster.

Es staubt großflockig auf der bis auf wenige Requisiten kargen Bühne des Ernst-Deutsch-Theaters (Ausstattung: Achim Römer). Durch den Gutshof geistern verschattete Gestalten. Im oberen Stockwerk tapert Uwe Friedrichsen im Morgenmantel einer Dampfwalze gleich als John Gabriel Borkman durch Landschaften aus Aktenordnern. Unter ihm vegetiert Elfriede Irrall als seine verhärmte Gattin Gunhild in Wollsocken. Zwischen den Eheleuten herrscht acht Jahre nach der Rückkehr Borkmans aus der fünfjährigen Haft Sprachlosigkeit und blanker Hass.

Erst der Besuch von Gunhilds Schwester Ella reißt die menschliche Eislandschaft, die nur ein paar beunruhigende Pianoakkorde durchziehen, ein. Krank zum Tode, ist jede Menschenliebe in ihr ausgelöscht, seit sie Borkman an die Schwester verlor.

Fernsehaktrice Thekla Carola Wied, die in dieser Rolle nach Jahren der Abstinenz auf die Bühne zurückkehrt, gibt sie als entschlossene Frau der Tat. Tapfer, manchmal zu dick auftragend, schlägt sie sich inmitten der erfahrenen Theaterhasen. In einem Wortduell mit Borkman erfährt Ella, dass er sie, seine große Liebe, einst in einem faulen Handel für den Direktorenposten an seinen ehemaligen Freund Hinkel opferte.

Jener Hinkel, der ihn später bei seinem riskanten Finanzdeal verraten würde. Ella will nun den von ihr aufgezogenen, erwachsenen Borkman-Sohn Erhart von Gunhild zurückgewinnen. Doch vergebens bleibt in diesem versteinerten Beziehungsdreieck alles Hoffen auf Erlösung. Klug folgt Sprenger den von Ibsen unerbittlich gezeichneten Figuren und vertraut auf die Kraft der Sprache.

Der Sturkopf Borkman wähnt sich noch immer kurz vor der Rehabilitierung. "Nicht mitmachen dürfen, das ist das Schwerste", grunzt er. Noch immer fühlt er "die tausendfach verzweigten lockenden Arme der Erzadern" sich nach ihm ausstrecken.

Die Erklärung für seine Taten klingt auch nicht lapidarer als die von schuldig gewordenen Investmentbankern: "Ich musste es tun, weil ich es tun musste." Wessen Gier von den aktuellen Ereignissen noch nicht kuriert wurde, der erlebt das vielleicht an diesem zutiefst berührenden Theaterabend.

John Gabriel Borkman: Weitere Aufführungen bis 2.10., Ernst-Deutsch-Theater, Friedrich-Schütter-Platz 1, Karten unter T. 22 70 14 20