Der Fortschritt, ach, der Fortschritt! Von ihm wusste Robert Musil vor 100 Jahren, dass immer nur ein Bein vorausschreite beim Fortschritt, das andere bleibe, gleichsam hinkend, zurück. Musil wusste auch gleich ein gutes Beispiel: Früher sei der Postverkehr viel langsamer gewesen.

Dafür aber habe man schönere Briefe geschrieben. Viel schönere.

Das mit den schönen Briefen ist wahr. Goetheschiller! Das mit dem schnelleren Postverkehr stimmt nicht mehr. Zum Beispiel am Montag. Da bekomme ich überhaupt keine Post mehr. Am Dienstag? Nur Rechnungen! Am Mittwoch nur Mahnungen zu Rechnungen. Das liegt auch daran, dass mir sonst keiner mehr schreibt. Es sei denn, er hat es auf mein Geld abgesehen. Es ruft mich auch kein Schwein mehr an. Es sei denn, er will mir etwas andrehen! Weil ich angeblich was gewonnen habe. Ich brauche nur zurückzurufen. Das ist der Fortschritt, dass ich nicht mehr zurückrufe. Und auch nicht mehr schreibe, weder montags noch dienstags.

Früher hieß es, ab geht die Post! Damit war zwar die Postkutsche gemeint, mit dem Cottbuser Postkutscher, dem Postillon d'Amour, den Bundespräsident Walter Scheel besang. Der Briefträger dagegen schmetterte nicht mehr fröhlich ins Horn, dafür galt die Legende, dass er den Frauen, die als Hausfrauen zu Hause blieben ... aber lassen wir das! Horn hin oder her!

Dann starb für den Fortschritt das Telefonbuch. Für das mein Literaturpapst Reich-Ranicki geworben hatte. Und von dem ich wusste, dass es ein spannendes Buch war, von A bis Z, von vorne bis hinten. Allerdings fand ich: viele Personen, vielleicht zu viele! Aber wenig Handlung!

Dann starb der Brief. Den letzten hat mir in den 50er-Jahren eine Freundin aus England geschickt. Jetzt, da die Post (wir Schreibfaulen sind schuld) ihren Dienst peu à peu einstellt, stirbt auch der Liebesbrief; zugunsten des Twitter-Tweets und der SMS. Und der E-Mail. Dabei war er doch so schön und tragisch! Wie das Ringelnatz festgehalten hat: "Ein männlicher Briefmark erlebte/ Was Schönes, bevor er klebte./ Er war von einer Prinzessin beleckt./ Da war die Liebe in ihm erweckt./ Er wollte sie wiederküssen,/ da hat er verreisen müssen./ So liebte er sie vergebens./ Das ist die Tragik des Lebens!"

Ach, gutes altes Porto! Jetzt bleibst du unbeleckt! Ach gute alte Post, jetzt stellst du die Zustellung ein! Und wir? Wir zwitschern und twittern uns eins!