Hamburg. Die Täter bleiben stets anonym, meist kommen sie im Schutze der Nacht, um Wahlplakate zu übermalen, zu überkleben, zu zerreißen oder mit manchmal wütenden, manchmal banalen, oft aber auch geistvollen und nicht selten entlarvenden Kommentaren zu versehen. Legal ist das nicht, nach Paragraf 303 Strafgesetzbuch wird dieser kreative Umgang mit politischen Botschaften als Sachbeschädigung verfolgt und mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet. Der Fotograf F. C. Gundlach sieht darin weniger die Straftat, sondern "Die kleine Rache des Souveräns". So heißt eine Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe mit manipulierten Wahlplakaten, die Gundlach im Lauf von drei Jahrzehnten fotografiert hat. Gezeigt werden 80 seiner Bilder, dazu 30 originale Plakate aus dem Bestand des Museums.

Die Frage nach den Motiven der Täter legt ethnologische Vergleiche nahe: In der Voodoo-Kultur ist es üblich, Puppen oder Bilder von Feinden mit Nadeln zu stechen, in der Erwartung, den realen Menschen damit Schmerzen zuzufügen. Dass Bilder Stellvertreterfunktion für Menschen übernehmen, ist auch in Europa nicht unbekannt. Volkskundler wissen um die magische Präsenz von Bildern, die deshalb oft Gewalt provozieren. Wer zum Beispiel dem Porträt eines Mächtigen die Augen auskratzt, verbindet mitunter damit die Vorstellung, die abgebildete Person selbst zu verletzen.

Dass auch Politikerporträts zu solchen Aktionen provozieren, hängt nach Gundlachs Meinung mit der Inhaltsleere ihrer Aussagen zusammen. "Diese Plakate vermitteln nichts mehr. Was sollen zum Beispiel 37 hintereinander aufgestellte Porträts mit der Aufschrift: ,Münte kommt'?", fragt der Fotograf, der im Laufe seiner jahrzehntelangen Recherche festgestellt hat, dass unterschiedliche Parteien dieselben Begriffe so lange gebraucht haben, bis sie restlos abgenutzt und inhaltslos waren.

Oft genügte schon die Veränderung eines einzigen Buchstabens, um die Aussage eines Plakats in ihr Gegenteil zu verkehren: Bei einem CDU-Plakat "Damit es weiter aufwärts geht", wurde so: "Damit es weiter abwärts geht".

Die meisten Manipulationen gab es stets in besonders emotionalen Wahlkämpfen wie 1972 bei der Konfrontation zwischen Brandt und Barzel oder 1980, als Franz Josef Strauß für die Union kandidierte. Den diesjährigen Wahlkampf hält Gundlach dagegen für wenig ergiebig. "Erst das freizügige Lengsfeld/Merkel-Plakat hat ein bisschen Schwung in die Sache gebracht."

Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, 21. August bis 27. September, Di-So, 11-18 Uhr, Mi/Do 11-21 Uhr geöffnet.

Eine Bildergalerie zum Thema finden Sie unter www.abendblatt.de/kultur-live