Wo sind eigentlich die Psychogurus hin, die einem ständig vorbeteten, jeden Tag wie den letzten zu leben? Gut, mal spekulativ, ich würde das Datum kennen. Abgesehen davon, dass ich vor Angst schlottere, rufe ich meine Herzmenschen zusammen, wir gehen zu Giovanni, er macht mir Berge von Cappellini.

Ich rauche, trinke, lache, weine und rede gleichzeitig, und dann wünsche ich mir, dass ich einmal das Wasserlichtkonzert in Planten un Blomen (Sprich: Bloumen) für mich ganz alleine hätte. Ich erbitte von den beiden Musikern, die allabendlich Lichtklavier und Wasserorgel zu herrlichsten Musiken koordinieren, "die Moldau", und setze mich in die Mitte der Wiese, in einem Kleid aus schattendunkler Seide. Schlag 22 Uhr, als Auftakt wie immer Aaron Coplands "Fanfare For The Common Man", Da-da-taa, zwei Hammerschläge, wieder der Bläsersatz. Es ist Musik wie ein weites Land, bei der mein dummes Herz auftrumpft: "Ich kann alles, ich gebe niemals auf!" Dazu zwei schlanke, kraftvolle Wassersäulen, stolz und erhaben teilen sie des Himmels Russischblau. Sprühnebel trifft meine Wangen und kaschiert die Tränen. Eine warme Frauenstimme teilt mir mit, dass ich als Wassertropfen wiedergeboren werde, und das mir das Bezirksamt Mitte viel Vergnügen wünsche. Dann beginnt die Sinfonie aus 762 Scheinwerfern, 99 Wasserdüsen und einer Musik-CD. Aus Geigen und Piano wird brennendes, tanzendes Licht in Farben wie aus einem Liebestraum; kopflose Ballerinas wirbeln in roten Tropfentütüs, rosa Wasserfälle fließen nach oben, blaue Schleierelfen wiegen in Wind und Melodie. Ich bin nur noch Klang und Licht und Mut. Ich tanze und bemerke nicht, dass ich sterbe, weil es so wortlos schön ist.

Überwältigend ist es, an jedem Tag. Ob es mein letzter ist - wer will das wissen? Dennoch sitze ich nahezu jeden Abend am Küchenfenster und sehe zu den Wasserspielen hin. Ich kenne das zweiwöchentlich wechselnde Halbstunden-Programm auswendig (By the way, liebe Stadt: Stockt doch mal das Repertoire auf - es macht Menschen glücklich!). Es ist der Soundtrack zu neun Jahren Leben und Lieben und Abschied und Schreiben, und doch ... schält es alles, was den Tag hart oder ängstlich gemacht hat, ab.

Gehen Sie da hin! Hören und fühlen Sie hin! Niemand hat bei diesem Kunstwerk eine Chance, traumlos zu bleiben.

Wasserlichtkonzerte bis 31.8. um 22 Uhr, 1.-30.9. um 21.00. Ab 16.8.: Jazz, ab 1.9.: Ravels "Bolero". Parksee (S Dammtor, U Messehallen), Eintritt frei

Nina George schreibt jede Woche in LIVE und liebt Hamburg.