“Unmöglich und unästhetisch, barbarisch und unzivilisiert“: Wenn der berühmte Gastronomiekritiker Wolfram Siebeck (80) zurzeit den Fernseher anschaltet, bekommt er ein essigsaures Gesicht.

Hamburg. Da wagen es Talkgäste, Köche vom "Perfekten Dinner" oder auch Schauspieler in Serien und Spielfilmen tatsächlich, dann und wann ein Weinglas stillos mit der ganzen Hand zu umfassen, statt es mit den Fingern am Stil zu halten. Siebeck empört im Magazin "Der Große Knigge": "Das Fernsehen verbreitet schlechte Manieren!"

Mal abgesehen davon, dass das heutige TV-Programm ähnlich starke Kopfschmerzen verursacht wie ein Tetrapak Lambrusco: Der Mann hat recht! Im Dschungelcamp zum Beispiel futterten die Prominenten der geschmackspolizeilich sorgenvoll beobachteten C-Kategorie ihr leckeres Getier selten mit Messer, Gabel und Hummerzange, sondern mit den - ungewaschenen - Händen. In den Kochshows hält man es auch nicht immer so genau mit Hygiene, Tisch- und Kochsitten. Und wer Boulevard-Sendungen schaut, sieht dort als Weingefäß kaum das Glas, sondern eher den Sangria-Bottich.

Allerdings wundert man sich schon, warum Herr Siebeck erst jetzt seinen Zorn kundtat und nicht bereits in den 70ern. Heinz Schenk und seine Gäste vernichteten damals zur besten Sendezeit im "Blauen Bock" gleich mehrere Liter-Tonkrüge ("Bembel") Äppelwoi an einem Abend. Anders war diese Sendung ja auch nicht zu ertragen. Und dann die ganzen Karnevalssendungen (nicht vergessen: ab 11. November WDR abbestellen!) und Talkshows damals, in denen man nicht nur stillos trank, sondern auch noch qualmte, als ginge es darum, die Frühzeit der Industrialisierung nachzustellen: der Nebel des Grauens. Aber das zumindest ist ja vorbei, TV-öffentlich Kette paffen darf nur noch Altkanzler Helmut Schmidt. In Spielfilmen wie dem Machwerk "Pearl Harbor" (2001) kommen mittlerweile sogar ganze Marinestützpunkte des Jahres 1941 ohne Glimmstängel aus.

Außerdem hat das (Werbe-)Fernsehen ja auch die Lösung für Fingerabdrücke auf Weingläsern parat: Geschirrspültabs, die fast mehr können als ein Spaceshuttle. Zumindest nach dem Spülgang sind die Gläser dann wieder Knigge-konform. Technik ist das Fundament der Zivilisation.