Festivalplaner Matthias von Hartz über Hamburger Understatement, Konsumkritik und Hunger nach Kunst.

Hamburg. "So viel Sommer muss sein" lautet das selbstbewusste Motto des Internationalen Sommerfestivals Hamburg, das der Hansestadt vom 13. bis zum 30. August ein anspruchsvolles Programm aus Theater, Tanz, Kunst, Diskussionen und Pop beschert - Festivalkurator Matthias von Hartz sprach mit dem Abendblatt über die Aktualität von Kapitalismuskritik, einen New Yorker Bürgermeisterkandidaten und den Hunger des Hamburger Publikums nach internationaler Kunst.

Hamburger Abendblatt:

"Kaufen" ist ein thematischer Schwerpunkt des Sommerfestivals. Ist Kunst die Antwort auf die Krise des Konsums?

Matthias von Hartz:

Es gibt ja gar keine ideologische Krise des Konsums - es läuft halt mal gerade nicht so gut. Aber wenn die Klimakrise und die Finanzkrise die größten Herausforderungen unserer Zeit sind, bin ich sicher, dass die Antwort nur eine grundsätzliche kulturelle Veränderung sein kann. Das ist jetzt mit so einem Festival auch nicht zu erledigen - in erster Linie zeigen wir hochkarätige Kunst. Aber es ist doch eine immense Aufgabe für Künstler oder Geisteswissenschaftler, sich dieses neue Leben vorzustellen. Weil sie im besten Fall in anderen Dimensionen denken.

Abendblatt:

Kapitalismuskritik in der Kunst - droht da nicht ein Wiederkäuen längst bekannter Positionen?

von Hartz:

Es gibt ja eine traurige Aktualität, in der wir ernsthaft vor dem politischen Vorschlag stehen: Kauft euch ein Auto und alles wird gut. Die ewige Wiederkehr der Kapitalismuskritik hat mit der ewigen Wiederkehr von unreflektierter Kapitalismus-Propaganda zu tun. Wir haben Kunst von heute für heute eingeladen.

Abendblatt:

Wie bewerten Sie in dieser Hinsicht den neuen Kultur-Coffeeshop am Mönckebrunnen? Starbucks und Elbphilharmonie - die perfekte Symbiose von Kommerz und Kultur?

von Hartz:

Interessant sind zwei Aspekte: Was macht Konsum mit öffentlichem Raum? Und: Wer schenkt den Kaffee aus? Das Problem ist ja nicht, Kaffee und Konzertkarten am selben Ort zu verkaufen. Das Problem ist: Wie verhält sich der Kaffeeanbieter im Rest der Welt, was löst er innerhalb von Stadtstrukturen aus? Und da haben wir mit Starbucks doch ein fragwürdiges Unternehmen.

Abendblatt:

Beim Sommerfestival wird auch Reverend Billy gastieren, der aktuelle Bürgermeisterkandidat für die Grünen in New York und ein kultureller Aktivist, der sich schon lange kritisch mit Starbucks auseinandersetzt. Sind hier Aktionen denkbar?

von Hartz:

Geplant nicht, denkbar sicher. Wir haben ihn eher eingeladen, weil wir denken, dass er international einer der interessantesten Künstler ist, die sich damit beschäftigen, wie Konsum immer mehr Gesellschaftsbereiche durchdringt.

Abendblatt:

Wie einfach ist es, jemanden, der in New York im Wahlkampf hängt, dazu zu bewegen, in Hamburg beim Sommerfestival aufzutreten?

von Hartz:

Das bedarf schon einer besonderen Anstrengung. Wir haben ja früher schon mehrfach zusammengearbeitet, sonst wäre das sicher schwieriger geworden. Wir hätten ihn auch gern länger hierbehalten. Aber er muss noch während des Festivals zurück - weil dann die Wahl ist.

Abendblatt:

Unterstützt Kampnagel mit seiner Festival-Gage eigentlich indirekt die New Yorker Grünen?

von Hartz:

Das habe ich so noch gar nicht überlegt. Dann könnte man ihm allerdings nur wünschen, dass er dort noch potente Geldgeber hat und die Zukunft New Yorks nicht von den maßvollen Gagen europäischer Kulturinstitutionen abhängt.

Abendblatt:

Sie sind erst kürzlich aus Avignon wiedergekommen, von einem der ältesten und wichtigsten Kulturfestivals in Europa. Wie oft müssen Sie da erklären, was das Internationale Sommerfestival Hamburg ist?

von Hartz:

Erfreulicherweise selten. Das Sommerfestival Hamburg ist international auf der Landkarte.

Abendblatt:

Wie ist das hier, vor Ort?

Von Hartz:

Na ja, wenn ich in Avignon bin und Jan Lauwers eröffnet mit der Needcompany das Festival, dann ist er der wichtigste Regisseur der Welt. Lade ich Jan Lauwers nach Kampnagel ein, ist er plötzlich Off-Theater. Da passiert schon eine Verschiebung.

Abendblatt:

Woran liegt das?

Von Hartz:

Ich glaube, es hat etwas mit Architektur zu tun. Etwas, das in der Mitte der Stadt steht und weiß angemalt ist, sieht erst mal wichtiger aus als etwas, was weiter außerhalb steht und eine alte Fabrikhalle ist. Und während andere Städte internationales Profil über hochkarätige Kunstevents gewonnen haben, wird Hamburgs Wahrnehmung immer noch überraschend stark von touristischen Events und Musicals geprägt. Es ist schon interessant, dass hier niemand versucht hat, eine Kunstmesse oder Biennale zu etablieren. Dazu kommt noch das hanseatische Understatement, nicht die tollen Dinge, die hier längst passieren, permanent in die Republik "hinauszuposaunen".

Abendblatt:

Und doch sind Sie optimistisch. Es gibt offenbar ein Bedürfnis.

von Hartz:

Unbedingt. Es gibt einen Hunger nach internationaler Kunst, wie die vielen ausverkauften Vorstellungen letztes Jahr bewiesen haben. Den werden wir auch dieses Jahr mit Stars auf dem Niveau der großen europäischen Festivals stillen, von Emio Greco bis Schlingensief. Und mal ehrlich: Es ist doch das Tollste auf der Welt, ein Sommerfestival zu haben: gutes Wetter, gute Laune, gute Kunst. Also, besser wird's doch nicht.