Wolfgang Wagners Schatten verblasst schnell. Um in der Welt-Liga der Opernfestivals mitzuspielen, müssen die neuen Chefinnen aber bei den Sängern an Qualität zulegen.

Bayreuth. Ein Neuanfang sollte es werden bei den Bayreuther Festspielen nach dem Ende der 57 Jahre währenden Ära Wolfgang Wagner. Die große bühnenwirksame eigene Entscheidungsmöglichkeit seiner beiden Töchter Eva und Katharina als Nachfolgerinnen wird erst die Benennung des Regisseurs für den nächsten "Ring des Nibelungen" sein, 2013 zu den Geburtstagsfeiern zum 200. Richard Wagners. So blieb 2009 absehbar eine Übergangssaison, zu der man erst mal Kleineres und Symbolisches verändert hat.

Auf der künstlerischen Ebene neu und anders war in diesem Jahr "Wagner für Kinder", die neue Reihe, der Geheimtipp auch für neugierige Erwachsene: Der Kurz-"Holländer" setzte einen frischen Farbtupfer und den Nachweis ernst gemeinter Nachwuchsarbeit. Fürs nächste Jahr wird über den Mini-"Tannhäuser" nachgedacht. Im großen Festspielhaus gab es wie geplant keine Neuinszenierung, 2010 bringt Hans Neuenfels den "Lohengrin" auf die Bühne (die Titelpartie singt Jonas Kaufmann). Genug Muße also, den aktuellen Stand Revue passieren zu lassen.

Das Kernstück blieb Tankred Dorsts ideenarm illustrierter "Ring des Nibelungen". Die Verschränkung der Götterwelt mit dem Hier und Heute wirkt blass und nutzt sich schnell ab - dagegen sieht Hamburgs "Ring", für den Claus Guth jetzt den "Siegfried" schmiedet, richtig gut aus. Katharina Wagners "Meistersinger", angelegt als Meisterstück der Urenkelin, punktet mit vielen Einzelideen - von der Singschule bis zu hübschen Traumsequenzen, verlässt sich aber auf starke Bilder, deren innerer Zusammenhalt nur schwer nachzuvollziehen ist.

Der aktuellste Beitrag ist Stefan Herheims "Parsifal" aus dem Vorjahr, der das ritualtrunkene Zaubermärchen mit Wahnfried, Freud und der deutschen Geschichte kreuzt und an Technik alles aufbietet, bis die Bühnenbretter quietschen. Heftig überladen, überpsychologisiert, übererklärt - eine Inszenierung, die Wagners "Parsifal"-Musik teilweise zum Soundtrack für hyperagile Bilder degradiert. Und dafür kräftige Buhs provoziert hat wie sonst nur Katharina Wagner für ihre "Meistersinger".

So blieb am Ende überraschend Christoph Marthalers karg-depressive "Tristan und Isolde"-Interpretation der klare Gewinner des ersten Festspiel-Zyklus: Mit kühler Reduktion des konsequent gedeuteten Geschehens, ohne Vorrang, aber mit Raum für die Sänger. Man muss das nicht mögen - spürt aber, dass hier jemand das Leid der Liebenden in einer Gesellschaft, die Liebe unmöglich macht, bis zum tödlichen Ende tief verstanden hat.

Man könnte mit dem Bayreuther Bühnengeschehen fast immer leidlich leben, wenn die Sänger durchweg den Anspruch eines Festivals der Weltspitze einlösten. Doch für die, die wirklich überzeugten, reichen zwei Hände beim Zählen: Robert Holl (König Marke), Klaus Florian Vogt (Walther von Stolzing), Arnold Bezuyen (Loge), Andrew Shore (Alberich), Eva-Maria Westbroek (Sieglinde), Christa Mayer (Erda in "Siegfried"), Hans-Peter König (Hagen), auch Mihoko Fujimura (Kundry). Etliche der großen Rollen - Robert Dean Smith (Tristan), Iréne Theorin (Isolde), Albert Dohmen (Wotan), Linda Watson (Brünnhilde) - waren allerdings so besetzt, dass Wünsche offenblieben: Textverständlichkeit, Intonation, Stehvermögen. Christian Franz kassierte für seinen wenig durchschlagkräftigen Siegfried (den er demnächst auch in Hamburg singt) in der "Götterdämmerung" gar heftige Buhs und zeigte dem Publikum dafür den Vogel.

Beim Orchester sieht es besser aus: Christian Thielemann bescherte dem "Ring"-Publikum filigrane Sternstunden, Sebastian Weigle präsentierte frische "Meistersinger" und Peter Schneider einen düsteren, klangschwärmerischen "Tristan". Daniele Gatti fiel es da deutlich schwerer, unter Herheims Bilderflut den "Parsifal" nicht beliebig klingen zu lassen.

Auch wenn Wolfgang Wagners Schatten erstaunlich rasch verblasst: Bei den Sänger-Engagements müssen die beiden Neuen, wollen sie nicht nur traditionsreiche, sondern glanzvolle Festspiele, deutlich nachbessern. Den Anspruch haben sie gesetzt: die besten Wagner-Sänger der Welt für den Hügel zu finden. Diese Richtung stimmt - wenn sie jetzt klug und energisch verfolgt wird. Mit Kaufmann setzt der "Lohengrin" vielleicht schon im kommenden Jahr ein erlösendes Zeichen, dass es auch sängerisch spürbar aufwärts geht in Bayreuth.