Ein Mann steigt auf die Bühne des Salzburger Landestheaters und stellt sich vor: “Mein Name ist Daniel Kehlmann.“ Dann kündigt er das Programm an, verschwindet und alles ist wieder gut.

Salzburg. Seine Kleidung verrät einen Hang zum Retro-Schick: Schwarzer Anzug zu schwarzem Hemd, das haben früher modebewusste Theaterbetriebsangehörige gleichsam als Uniform getragen. Heute treten in der Regel eher Architekten und Schriftsteller so auf, die ebenso größenwahnsinnig sind wie die übrigen ausgeprägt schöpferischen Menschen auch. Der Größenwahn - mal besser, mal schlechter, mal gar nicht verborgen - ist nun mal ihre Geschäftsgrundlage.

Leider taugt Kehlmann auf längere Sicht nicht zum Feindbild. Was er in einem "Spiegel"-Interview sagte, andere gab er nicht, dürfte nicht einmal die erbittertsten Verfechter des sogenannten "Regietheaters" auf die Palme treiben. Nein, Daniel Kehlmann hat darin nichts aus seiner mittlerweile berühmt-berüchtigten Rede zur Eröffnung der Festspiele widerrufen. Allein auch hier macht der Ton die Musik. Er habe bloß darauf hinweisen wollen, meinte er, dass man "eine bestimmte Art von Theater nicht als reaktionär abtun" möge, dass "die ästhetische Position des Ernstnehmens der Texte nicht unter Generalverdacht stehen sollte". Sollte sie in der Tat nie und nimmer. Der Rest erschöpft sich in ideologischen Grabenkämpfen, einer Lieblingsbeschäftigung deutschsprachiger Intellektueller. "Da streiten sich die Leut' herum", lesen wir schon im "Hobellied" des Dramatikers Ferdinand Raimund. "Der eine heißt den andern dumm,/Am End' weiß keiner nix."

Keinesfalls darf die Goethe-Formel "Bilde, Künstler, rede nicht!" als Maulkorb missbraucht werden, was allzu häufig geschieht. Sie enthält freilich einen wahren Kern: Künstler beweisen sich erst in der Praxis, ihre Theorien sind eine Zugabe, mehr nicht. Was also hat Daniel Kehlmann, der als "Dichter zu Gast" in Salzburg eine eigene Reihe gestaltet, zu bieten? Buchstäblich Scharlatanerie. Der von Kehlmann eingeladene 67-jährige Spanier Juan Tamariz ist ein Zauberkünstler. Mein Gott, wie altmodisch!, mögen einige denken. Aber reifere Erwachsene verwandeln sich unter seinen Händen in glücklich staunende Kinder. Wie kommt Kehlmann dazu, jemanden so herrlich Unseriösen in diesem Rahmen zu präsentieren? Ganz einfach: In seinem Debütroman, "Beerholms Vorstellung" (1997) taucht der Name Tamariz zweimal auf. Er ist einer der Heroen des tragisch endenden Zauberlehrlings Arthur Beerholm.

Auch der britische Autor Tom Stoppard gilt als Illusionskünstler von außerordentlichem Rang. Kehlmann versuchte seine Begeisterung mit einer szenischen Lesung aufs Festspielpublikum zu übertragen. Es gelang. "Die Küste Utopias" ist eine monumentale, geistreiche und sinnliche Auseinandersetzung mit dem unvermeidlichen Scheitern gesellschaftsphilosophischer Utopien am Beispiel der größten, der sozialistischen. Unbefangen schreibt Sir Tom seine geschliffenen Dialoge, er kombiniert die Genres, kennt keinerlei Scheu vor intelligentem Witz in der Tragödie und mischt Tschechow mit Offenbach. Glänzende Schauspieler sorgen für ebensolche Unterhaltung. Aber eigentlich könnte Sunnyi Melles sämtliche Partien bestreiten. Mag sein, dass sie einst als schwer erträglich frommer "Glaube" im Salzburger "Jedermann" eine Kirchenaustrittswelle ausgelöst hat. Im Fach der leicht lasziven Grande Dame wirkt sie fabelhaft. Eine verruchte Madonna zum Niederknien.