Ingo Metzmacher dirigierte in Salzburg Luigi Nonos Musik-Theater-Koloss “Al gran sole“. Das Publikum war begeistert.

Salzburg. Luigi Nonos Botschaften und ihre Wahrheiten sind hochaktuell, heute mehr denn je. Doch es hat schon etwas sehr Ironisches, wenn ein durch Jahrhunderte, durch Kommunen und über Kriegsschauplätze wirbelndes Stück über den Kampf des Kommunismus gegen die herrschenden Verhältnisse bei den Salzburger Festspielen aufgeführt wird, gesponsert von einer Schweizer Bank. Und wenn dann in einer der ersten Szenen von "Al gran sole carico d'amore" zu sehen ist, wie eine staunende Frauengestalt den Staub von Reliquien der gescheiterten Revolten pustet, die offenbar nur noch musealen Wert haben, fragt man sich: Wer hat gewonnen, wer verloren?

Nonos "szenische Aktion", ein Manifest aus Noten, ist ein Musik-Theater-Koloss, der jeden Rahmen, in den man es zu fassen versucht, radikal sprengt. Er selbst nannte ihn einen "großen Elefanten der Mittel". Dieser Elefant darf nun eine Runde durch den Porzellanladen Salzburg drehen. "Al gran sole" ist und bleibt auch deswegen ein Politikum, weil es sich von den Niederungen der Tagespolitik löst und grundsätzliches menschliches Elend verhandeln will: Hoffnungen, Leid, Leidenschaften.

Vor und nach seiner Amtszeit als Hamburger Generalmusikdirektor und Musikfest-Leiter hat Ingo Metzmacher sich für Nonos Welt-Sichten eingesetzt; 1999 fuhr sein Regisseur Travis Preston eine "Al gran sole"-Version mit albernen Mätzchen an die Wand der Hamburgischen Staatsoper. Nun ist die Zeit für eine Wiedergutmachung gekommen, dort, wo so mancher sich für sein Eintrittsgeld in ästhetischer Sicherheit vor allzu viel Nachdenken wähnen möchte.

Metzmacher ist es dann auch, dem der scheidende Festspiel-Chef Jürgen Flimm die wichtigste, sperrigste, notwendigste Produktion mindestens dieses Sommers verdankt. Dafür wurden weder Kosten noch Mühen gescheut, in einem nicht unumstrittenen Ausmaß, das selbst die Festspiel-Logistik zum Ächzen brachte: Die Musikermassen der Wiener Philharmoniker, von Haus aus alles andere als Avantgarde-Fanatiker, quellen nach links und rechts aus dem Graben in der Felsenreitschule und spielen überzeugend sensibel mit, der exzellente Wiener Staatopern-Chor und das Dutzend Gesangssolisten stehen als Vokal-Kollektiv unter einer schrundigen Leinwand, auf die Live-Filmszenen projiziert werden, die in mehreren Bühnen-Kammern als Momentaufnahmen entstehen. Die britische Theaterregisseurin Katie Mitchell löst das Dilemma des Massenaufmarschs im Halbdunkel durch diesen packenden Multimedia-Ansatz, für den sie auch in Deutschland bekannt geworden ist: Sie bricht Geschichte hinunter auf Einzelschicksale, zeigt stumme, hochexpressive Frauen in privaten Situationen.

Platz für Umbrüche ist in der kleinsten Hütte, soll das zeigen, und dass alles Private bis hin zum Bohnensuppenkochen beim Warten auf den sich verspätenden Barrikadenkämpfer immer auch politisch sein kann. Die Frau, dein Freund und Helfer am Herd? Eine Sichtweise, über die man geteilter Meinung sein kann. Doch die Gesichter in Großaufnahme, ihre Ängste und Zweifel, sind über jeden Zweifel erhaben, dass die Kombination aus Bild, Ton und Raum ihre Wirkung verfehlen könnte. Heiliger, profaner Ernst verstärkt das Pathos der Musik, Nahaufnahmen, die den Nono-Giganten unters Mikroskop legen. Diese präzise, staunend neugierige, porentiefe Nähe schafft Empathie, sie zwingt den Zuschauer ins Voyeuristische.

Bei Metzmacher ist die Riesenpartitur in den allerbesten Händen; er ist der Fels in der Klangbrandung, der Effektbändiger, der weiß, dass auch er nur Spielball ist in diesem Stück, nur dafür da, Regeln zu befolgen. Am Ende werden Stück und Interpret gleichermaßen bejubelt.

Die bittere Pille der Erkenntnis vom Scheitern der Systeme und der Systemveränderer, hier wurde sie fast dankbar geschluckt.