Im Jahr 2002 nahm Scotland Yard am Londoner Flughafen Heathrow einen Mann fest, der zehn Jahre lang zahlreiche Menschen in ein Lügennetz verstrickt hatte.

Es ist eine Geschichte von Macht und Missbrauch, von Verführbarkeit und der verzweifelten Suche nach einem Sinn in diesem Leben. Robert Hendy-Freegard, Autoverkäufer aus England, brachte mindestens acht bis dato unbescholtene Bürger um Jahre ihres Lebens sowie um insgesamt mehr als 700 000 Euro - indem er ihnen eine unglaubliche Legende auftischte und sie durch Drohungen und Verführung in eine emotionale Leibeigenschaft manipulierte: Er behauptete, er ermittle im Auftrag des MI5 gegen die IRA, und brachte seine Opfer durch verblüffend geschickte Gehirnwäsche dazu, ihm - nicht ohne eine angemessene finanzielle Rückendeckung - "in den Untergrund" zu folgen. Er hielt sie in angeblich "konspirativen Wohnungen" gefangen, vergab nutzlose "Aufträge", eine der Frauen gebar ihm in dieser Zeit sogar zwei Kinder.

Dieser unglaubliche Fall des Robert Hendy-Freegard hat nun die Hamburger Schriftstellerin Tina Uebel zu ihrem dritten und besten Roman inspiriert: "Die Wahrheit über Frankie" erscheint heute bei C.H. Beck und erzählt die Geschichte dreier (fiktiver) Hamburger Studenten, die über einen Zeitraum von zehn Jahren dem charismatischen Betrüger Frankie bis zur Selbstaufgabe verfallen.

BWL-Student Christoph, der den etwas älteren Frankie in seiner Ottenser Stammkneipe kennenlernt, seine hübsche Freundin Judith und deren eigenwillige Mitbewohnerin Emma verbringen einen zunächst harmlosen gemeinsamen Sommer, sie gehen baden, trinken Bier, tauschen sich über Belanglosigkeiten aus. Und sie beginnen, um die Zuneigung von Frankie zu buhlen, der ihnen eines Tages seine eigentliche Beschäftigung anvertraut: Spionage. Nicht unglaubwürdig, nachdem kurz zuvor bekannt geworden war, dass im nahen Harburg Terroristen des 11. September über Jahre eine unentdeckte Schläfer-Existenz gelebt hatten.

Zu Beginn des Romans sind die Jahre der Abhängigkeit bereits verstrichen, in Protokollen lässt Tina Uebel ihre Figuren abwechselnd die qualvolle Vergangenheit rekapitulieren, in der sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in wechselnden Identitäten gehaust hatten. Sie werden von Frankie, einer zunehmend unheilvolleren Führerfigur, zu geheimen Treffpunkten geschickt und betteln um Verantwortung als Loyalitätsbeweis.

In der Rückschau sind es nur Christoph und Judith, die den Betrug begreifen. Emma hingegen wähnt sich noch immer in Geheimdienstkreisen, ist stolz darauf, in diesem "Verhör" durch die Gegenseite nicht zu "brechen". Die Wahrheit über Frankie ist - nach all den jahrelang heldenhaft durchlittenen Entbehrungen - zu banal. "Frankie hat uns eine Aufgabe gegeben, die Bedeutung hat", beharrt Emma. Und auch Christoph fasst die Sehnsucht nach Relevanz und Intensität zusammen: "Alles war Film, bloß war es jetzt echt. Ist Ihnen klar, wie selten sich in einem normalen Leben irgendetwas echt anfühlt?"

Diese Passagen - in einem psychologisch spannenden Plot - sind es, die auch den Leser zur Überprüfung eigener Schwächen und Sehnsüchte zwingen: Wie verführbar wäre man wohl selbst, wie manipulierbar, hat man sich einmal entschieden, zu vertrauen. Ohne diese Neigung der Menschen, nach Höherem, nach Sinn und Bedeutsamkeit zu suchen und zu streben, gäbe es keine Sekten, funktionierte Scientology nicht, gäbe es keine Attentate im Namen der Religion.

Der gefährliche Menschenverführer Robert Hendy-Freegard übrigens, Vorbild für Uebels Titelfigur Frankie, wurde 2005 zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Polizei rechnet jedoch damit, dass nicht alle seine Opfer identifiziert wurden. Sie leben womöglich noch immer, in diesem Moment, in ihrem vorgespiegelten "Untergrund". Und warten auf ihren Einsatz.