Ist Lady Gaga nur ein One-Hit-Wonder? Musik ist bei ihr scheinbar Nebensache. Für das Erbe einer Madonna reicht das kaum aus.

Hamburg. Ja, was ist sie denn nun. Die schillerndste Anwärterin auf die Popkrone seit Madonna? Oder ein One-Hit-Wonder mit Lizenz zur Trashqueen für einen Sommer? Nach dem Auftritt von Lady Gaga vor 4500 Besuchern im ausverkauften Stadtpark sieht es stark nach Letzterem aus. Hinter einer Menge Rauch wird eine Art Kanzel sichtbar, aus der sich die in ein geometrisches Glitzerkostüm gehüllte Lady Gaga schält. Wie eine lebende Discokugel sieht sie aus. Ihre Botschaft lautet: Disco-Pop lebt.

Unter dem Kreischen vor allem sehr junger Mädchen zwischen 10 und 13 Jahren, von denen viele vor der Bühne mit ihr modisch fast um die Wette funkeln, stimmt die singende Plastikpuppe - vielleicht die erfolgreichste seit der Erfindung der Barbie - ihren aktuellen Hit "Paparazzi" an. Das Erlebnisspektakel, über das derzeit die ganze Nation spricht, lockt in Hamburg Popfans aller Generationen an. Selbst Kultursenatorin Karin von Welck hat sich das für eine gute Stunde auf einem eigens für sie errichteten Thron nicht entgehen lassen. Lady Gaga ist Künstlichkeit pur. Ihre Show ist es auch. Es ist die gleiche, die man bei Liveauftritten von Britney Spears oder den Pussycat Dolls erlebt, für die die New Yorkerin auch schon Lieder geschrieben hat. Hier in der Botanik wirkt das seltsam fehl am Platz.

Trash kann ja durchaus lustvoll enge Genregrenzen ironisieren. Doch die 23-jährige Sängerin mit italienischen Wurzeln will mehr als das, nämlich die Überhöhung durch einen Kunstanspruch, der sich aus ihrem kurzen Studium an der Tisch Art School speist. Und so eröffnet das Spektakel ein sinnfreies Kurzfilmchen mit dem Titel "Who Killed Candy Warhol?". Mit dem Zitieren des Übervaters der Pop-Art legt sie die Latte hoch. Ein Queen-Titel ("Radio Ga Ga") muss bei der Namensfindung herhalten.

Doch was die Wasserstoffblondine, die bürgerlich den Namen Stefani Joanne Angelina Germanotta trägt, auftischt, ist ein aberwitziges Hochglanz-Hybrid aus grellen Lichtblitzen, schlimmem 80er-Jahre-Italo-Disco-Stampfbeat und erotisierenden Posen, bei denen sie sich von einer Horde Tänzer in Sado-Maso-Kostümen flankieren lässt. Einmal rollt sie mit überdimensionierten Schulterhörnern und ultrakurzem Mini auf einer Vespa herein. Eine Nummer, die als Star-Trek-Softporno gut funktionieren würde. Und in der die ehemalige Burlesque-Stripperin ihre Liebe zum Varieté offenbart. Ihre vier Musiker simulieren dagegen mehr schlecht als recht echtes Spiel auf ihren Instrumenten. Drei von ihnen legen sich mit Heavy-Metal-Gesten mächtig ins Zeug. Gelegentlich hängt sich auch Lady Gaga ein Keyboard um, doch die Musik läuft weiter, da hat sie es schon längst aus der Hand gelegt. Das Unechte ist Programm. Wenn durch längere Umbau- und Umkleidemaßnahmen quälende Pausen entstehen, versucht sich die Performerin verbal zu retten: "I Love You Guys So Much" verkündet sie oder brüllt "Germany, I Want Your Soul!". Dafür braucht es mehr. Der Jubel flaut ab. Manch einer wendet sich entnervt zur Bar.

Mit ihrer Plastikinszenierung stillt die Sängerin offensichtlich den allgegenwärtigen Hunger nach einer Überfigur, die ihre Popinstallation hemmungslos und ohne Rücksicht auf Geschmacksgrenzen durchzieht. Die sich mit Kostümierungen aus Plüschfröschen oder einem Gesichtsvorhang als Kopfschmuck die Freiheit zur modischen Exzentrik nimmt. Und dazu in ihrer Bühnenshow stets kurzberockt mit freier Sicht auf ihr Hinterteil die Herrin ihrer sexuellen Anzüglichkeit bleibt.

Das ist alles durchaus clever ausgedacht und zielt auf die Lücke, die Madonna vielleicht irgendwann einmal im Popzirkus hinterlassen wird. Nur, dass Madonna von Anfang an mehr Variationen beherrschte und tatsächlich tanzen kann.

Lady Gagas Debütalbum "Fame" hat sich millionenfach in aller Welt verkauft. Doch ihre Kunst bleibt irgendwo zwischen dem Spaß an einer tollkühnen Elektropop-Nummer wie "Just Dance" und Witzchen hängen, zu denen sie mehrfach vulgäre Vokabeln bemüht. Da blättert der Glanz des Phänomens dann doch unerbittlich ab.

An dem wenig innovativen und auf Dauer ermattenden Großraum-Discocharme könnte sich die Zukunft der Lady Gaga entscheiden. Aber vielleicht arbeitet sie ja noch an diesem Konzept.