Die versunkene Stadt Rungholt wäre heute vermutlich so gut wie unbekannt, wenn der Holsteiner Dichter Detlev von Liliencron (1844-1909) sie nicht so schön besungen hätte. Und seinen Ausruf “Lewwer duad üs Slaav!“ (Lieber tot als Sklave!) kennen an der schleswig-holsteinischen Westküste nicht nur Literaturfreunde.

Hamburg. Vor 100 Jahren, am 22. Juli 1909, starb Liliencron im Alter von 65 Jahren. Begraben ist er im holsteinischen Dorf Alt-Rahlstedt, heute ein Stadtteil von Hamburg.

Noch heute lebt bei Demonstrationen in Nordfriesland etwa gegen Umweltvorschriften der alte Friesen-Ruf "Lewwer duad üs Slaav!" auf. Das Motto stammt aus Liliencrons Ballade "Pidder Lüng": Der dänische Amtmann von Tondern will von den Friesen Abgaben einfordern. Auf Sylt in der Hütte von Pidder Lüng kommt es zum Streit, weil der Fischer auf die Freiheitsrechte der Friesen pocht und die Zahlung verweigert. Als der Amtmann deswegen in den Grünkohl spuckt, wird Pidder Lüng wütend: "Und taucht ihm den Kopf ein und lässt ihn nicht frei, bis der Ritter erstickt ist im glühheißen Brei."

In seiner Rungholt-Ballade erzählt Liliencron, wie sich die stolzen und sittenlosen Bewohner an Gott und der Nordsee versündigen: "Sie ziehn am Abend hinaus auf den Deich: 'Wir trotzen dir, Blanker Hans, Nordseeteich!'". Die Strafe folgte: "Ein einziger Schrei - die Stadt ist versunken, Und Hunderttausende sind ertrunken. Wo gestern noch Lärm und lustiger Tisch, Schwamm andern Tags der stumme Fisch."

Rungholt war etwa so groß wie Kiel und lag nahe der heutigen Insel Pellworm. In der Flut "Grote Mandränke" am 16. Januar 1362 wurde die Stadt zerstört.

Heute bietet Pellworm "Rungholt-Tage" für Touristen an; Büsum lädt die Besucher in die Sturmflut-Ausstellung "Blanker Hans" ein. Mehr als 100 Lieder mit Liliencron-Texten wurden komponiert, auch von Johannes Brahms und Richard Strauss. Der Rockmusiker Achim Reichel hat die Balladen "Pidder Lüng" und "Trutz, blanke Hans" vertont.

Liliencron wurde am 3. Juni 1844 im damals dänischen Kiel geboren. Er war Sohn eines Zollbeamten, der zwar "Freiherr" war, nicht aber über das entsprechende Vermögen verfügte. Die missliche Finanzlage verhinderte auch die Militärkarriere des Sohnes. Nach zwei Jahren in Amerika als Sprachlehrer und Klavierspieler kam er als Verwaltungsbeamter auf die Nordseeinsel Pellworm und nach Kellinghusen. Mit 37 Jahren veröffentlichte er die ersten Gedichte und Novellen. Bereits vier Jahre später machte er sich als Dichter selbstständig.

Dabei ließ er sich weder als Romantiker noch als Naturalist einordnen. "Der Broadway in New York" etwa erinnert eher an die Expressionisten: "Doch drängte sich der Yankee klug und rastlos/ (...) In seinem Rennen, seinem Sinnen lag/ Nur eins, die unersättlich große Gier."

1901 kam zum Ruhm ein festes Einkommen: Kaiser Wilhelm II. spendierte Liliencron ein jährliches Ehrengehalt von 2000 Mark. Am 22. Juli 1909 starb er an einer Lungenentzündung.