Sigmar Polke und seine Künstler-Clique reagierten auf die amerikanische Herausforderung mit “German Pop“ - die Schau dokumentiert eindrucksvoll und beispielhaft diese Schaffensphase.

Hamburg. Schon im zentralen Saal der Schau, dem verbliebenen Kernstück der Ausstellung mit den zehn großflächigen "Kleinbürger!"-Gouachen, werden Einflüsse der Pop-Art sichtbar. Doch in "Supermarkets!" feiert Sigmar Polke nicht den All American Hero Superman, sondern travestiert einen billigen Cartoon aus dem "MAD"-Magazin: die Parodie einer Parodie. Statt Hochglanz zu liefern, verzerrt er die Motive ins Sarkastische, sogar Schmutzige. Für "Kandinsdingsda" sampelt Polke vor sonnengelben Farbflächen Pornografie mit Bildchen aus einem Bombenbastelbuch.

War im ersten Teil der Ausstellungstrilogie "Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen" in der Galerie der Gegenwart die "Clique" - Sigmar Polke und seine Künstlerkommune in den Siebzigern - das Thema, untersuchen nun die Kuratoren Dorothee Böhm und Dietmar Rübel in der prozesshaft sich erweiternden Werkschau deren Verhältnis zur Popkultur.

Als Gegenstück zur "Kleinbürger!"-Serie zeigt diese zweite Ausstellung neben vielen neuen Bildern, Filmen und Dokumenten den Zyklus "Original + Fälschung". Es ist gelungen, den Künstler wie den Sammler davon zu überzeugen, die von Polke und Achim Duchow 1973 inszenierte Ausstellung im Westfälischen Kunstverein Münster zu rekonstruieren. Zu sehen sind die 38 Bilder nun in einer Installation mit bunten Neonröhren an der Decke und fast 300 kleinen kreisrunden Spiegeln an den Wänden: Die blitzenden, reflektierenden "Polke dots" - Polkes Punkte.

Das Punkt-Motiv kehrt auf Polkes Bildern in vielen Formen wieder, wandelt die Rasterungen von Fotos, Comics oder Monitorbildern ab, bricht jedoch deren Schematismus durch das Handmalen auf. Andererseits benutzte er Schablonen und Sprayfarben, kollagiert glitzernde Deko-Stoffe, Fell und Strass. Humoristisch spielt der "Fälscher" mit dem Thema von "Original + Fälschung" in der "originalgetreu" präsentierten "Fälschung einer Rekonstruktion einer Fälschung" (Rübel), die Deformation von Bildern als Kitsch, Massenartikel, Raubgut oder -kopie ironisiert.

Pop ist ein schillernder Begriff. In der Kunst längst aus der Mode, bleibt er doch gültig: Für Phänomene in der Alltagskultur, in den Medien, in der Musik oder Werbung. Selbst die Ikonen der Pop-Art wie Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Claes Oldenburg, konnten sich 1963 bei einer Befragung durch das New Yorker Magazin "Art News" nicht auf eine Definition einigen.

Sigmar Polke, Gerhard Richter oder Konrad Lueg im Umfeld der Düsseldorfer Kunstakademie wollten zwar den Anschluss an den Trend, aber zugleich auch die Abgrenzung von ihm. Sie bedienten sich in ihren Arbeiten vergleichbarer Themen - Comic-Helden, Konsumwelt, Underground, Sex, Drogen und Rock 'n' Roll -, bearbeiteten sie jedoch auf ihre Weise. Heraus kam "German Pop", wie Gerhard Richter es nannte: Einer in den künstlerischen Mitteln so vielfältigen wie (bis zur Auflösung persönlicher Autorschaft) freizügigen Reflexion über das Alltägliche.

Fast ein Jahr lang widmet sich die Kunsthalle Sigmar Polkes Werk aus den Siebzigerjahren. Von der Kunstkritik weitgehend als Hippiefantasien und Haschhalluzinationen abgetan oder ignoriert, dokumentiert das Kuratorenpaar in der sich wandelnden, durch die Michael-&-Susanne-Liebelt-Stiftung ermöglichten Ausstellung die Schaffensepoche und deren Stellenwert. Das experimentell Modellhafte, die akribische Recherche und geduldig aufgetriebene Fundstücke verleihen ihr Einmaligkeit und Sensationscharakter, um den wohl nicht nur Köln die Hamburger Kunsthalle glühend beneiden mag.

Die "Pop"-Schau mit deutlich erhaltenen Bezügen zum "Clique"-Teil ermöglicht nicht nur einige von Polkes vielschichtigen Bildern wieder zu sehen, sie wird wieder zur Zeitreise in die Siebziger. Für ältere Besucher - durch Filme, Plakate, Zeitungen und Soundspuren - sogar zum Erinnerungstrip in wilde Jugendzeiten. Weniger grau, viel bunter, frecher und witziger waren sie doch, als sie manchem noch in Erinnerung sein mögen.

Sigmar Polke: "Wir Kleinbürger!", Teil 2: Pop, 12.7. bis 4.10., Galerie der Gegenwart, Di - So 10 - 18 Uhr, Do 10 - 21 Uhr, Katalog 48 Euro